Einführung

Erste Eingriffe der NS-Diktatur 1933

Schnellbrief des Reichsministeriums des Innern an alle nachgeordneten Behörden, 11.04.1933; Antwortschreiben von Paul Fridolin Kehr, 16.04.1933

Mit dem Aufstieg der rechtsextremen NSDAP in der Weltwirtschaftskrise und der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 verband sich, auch in den MGH, die Hoffnung auf einen politischen und wirtschaftlichen Neuanfang. Die konservativen Eliten der Weimarer Republik sowie Vertreter aus Industrie und Landwirtschaft hatten sich bereits im Herbst 1932 bei Reichspräsident Paul von Hindenburg mehr und mehr für eine Regierung Hitler eingesetzt: ein rechtsnationales Regierungsbündnis, das um den „Führer“ der Nationalsozialisten herum gebildet werden sollte. Denn wie Hitler waren sie überzeugt, dass die Beseitigung der Weimarer Demokratie der einzige Weg sei, den Wiederaufstieg Deutschlands und den Aufbau eines neuen, nationalen Reiches zu ermöglichen.

Der „Schnellbrief“ des Leitenden Staatssekretärs im Reichsministerium des Innern Hans Pfundtner vom 11. April 1933 an die MGH als eine der „nachgeordneten Behörden“ seines Ministeriums muss vor diesem Hintergrund gesehen werden. Pfundtner, ein preußischer Verwaltungsjurist und seit 1919 Mitglied der rechtskonservativen DNVP, war zwar erst im März 1932 der NSDAP beigetreten, hatte aber den Nationalsozialisten, die er als „nationale Aktivisten“ bezeichnete, sogleich in einer Denkschrift erklärt, dass sie im Falle einer Machtübernahme den Beamtenapparat sofort radikal nach weltanschaulichen Kriterien säubern müssten. Seine briefliche Aufforderung, im Zuge des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 jüdische Beamte, Angestellte und Arbeiter sofort aus dem Dienst der MGH zu entfernen, berührte zudem einen Kernbereich nationalsozialistischer Weltanschauung. Kein Jude könne „Volksgenosse“ sein, hieß es bereits in Punkt 4 des Gründungsprogramms der NSDAP. National zu sein, bedeutete daher immer zugleich auch, antisemitisch zu sein.

Paul Fridolin Kehr, dem inzwischen 72jährigen Vorsitzenden der Zentraldirektion der MGH und Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für deutsche Geschichte – einem erfahrenen, international bestens vernetzten Wissenschaftler – konnten diese Zusammenhänge nicht entgangen sein. Als er Pfundtner am 16. April 1933 im Namen der MGH antwortete, mag er sich gleichwohl der Illusion hingegeben haben, sein Antwortschreiben richte sich nicht an einen Nationalsozialisten, sondern an einen altgedienten preußischen Ministerialbeamten. Nur so ist zu erklären, dass Kehr die Weisung aus dem Reichsministerium des Innern offenbar lediglich als eine „Formalie“ betrachtete und den unmissverständlichen Säuberungsbefehl Pfundtners mit der Aussage abtat, während seiner Amtsführung sei kein jüdischer Beamter, Angestellter oder Arbeiter beschäftigt worden. Weder der jüdische Abteilungsleiter Harry Bresslau noch die jüdischen Mitarbeiter auf Honorarbasis, die Kehr in der Aufstellung von 1926 nannte, fielen strenggenommen unter diese Kategorien – und wurden von Kehr einfach verschwiegen.

Tatsächlich begann Kehr noch im selben Monat persönliche Verhandlungen mit Reichsinnenminister Wilhelm Frick, einem Juristen und „alten Kämpfer“ aus der Frühzeit der NSDAP, in denen es um die Aufstockung der finanziellen Mittel der MGH ging. Kehr suchte also die Chancen zu nutzen, die sich den von finanzieller Auszehrung und sogar von Auflösung bedrohten MGH, bei deren Arbeit es um die Erhaltung nationalen, ja urdeutschen Kulturgutes ging, mit dem neuen Regime boten. Damit ebnete er den Weg für die Umstrukturierung der MGH in ein „Reichsinstitut für ältere deutsche Geschichtskunde“, der 1935 beschritten wurde.

Transkription

[Briefkopf Der Reichsminister des Innern]

Berlin NW 40, 11. April 1933
Schnellbrief
An die nachgeordneten Behörden.

Ich ersuche ergebenst, mit sofortiger Wirkung sämtlichen jüdischen Beamten, Angestellten und Arbeitern gemäss §§ 3, 15 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 (Reichsgesetzbl[att] I S. 175) bis auf weiteres Urlaub zu erteilen unter Enthebung von ihren Dienstgeschäften. Über das Veranlaßte bitte ich zu berichten.

In Vertretung Pfundtner

den 16. April 1933.
Berlin NW 7, Charlottenstr. 41.)

Auf den mir durch Schnellbrief zugegangenen Erlass vom 11. d[es] M[onats] H.B.XXVI/2/10.4 beehrte ich mich zu berichten, dass während meiner Amtsführung kein jüdischer Beamter, Angestellter oder Arbeiter beschäftigt worden ist.

Der Vorsitzende der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae historica

K[ehr]

An den Herrn Reichsminister des Innern
Berlin NW 40
Königsplatz 6.