Einführung

Mitarbeit im Verborgenen

Schriftverkehr zur Vertuschung von Levisons Arbeit an der Lex Salica-Edition

„Wie weit freilich meine Arbeiten gedruckt werden, steht dahin: Die „Jahresberichte“ haben zwar 1935 meinen sehr ausführlichen (und, ich glaube, einwandfreien) Bericht über 1933 und 34 noch angenommen und sogar setzen lassen, ihn aber dann nicht abgedruckt, und auch die „Historische Zeitschrift“, an der ich 35 Jahre mitgearbeitet habe, druckt nichts mehr von unsereinen: die Rasse des Verfassers ist wichtiger als der Inhalt. Aber das soll mich nicht hindern, nach Kräften mein Bestes zu leisten“, schrieb Levison im Juni 1936 an Bruno Krusch (MGH-Archiv B 577, Blatt 103: Briefkarte, 6.6.1936). Wilhelm Levisons Fähigkeit, sich trotz entwürdigender Bedingungen auf die wissenschaftliche Arbeit zu konzentrieren, klingt in dieser Äußerung an.

Der Wissenschaftler musste nicht nur verkraften, dass seine Arbeiten nicht mehr gedruckt wurden, sondern durfte nicht mehr als Wissenschaftler in Erscheinung treten. So bat Wilhelm Engel, der 1935 als Leiter des Reichsinstituts eingesetzt worden war, Levison im Herbst 1936 und 1937 zu Besprechungen in seine Berliner Privatwohnung, da Treffen in den Räumen des Reichsinstituts wegen der herrschenden antisemitischen Ideologie zunehmend riskant waren.

Während Engel das Manuskript der Einleitung zur Gregor von Tours-Edition im Dezember 1936 noch offiziell vom „Reichsinstitut für ältere deutsche Geschichtskunde“ an Herrn Prof. Dr. Wilhelm Levison schicken ließ, vertuschte zwei Jahre später sein Nachfolger Edmund Ernst Stengel jegliche Verbindung zu Levison.

Dieser hatte sich auf Bitten Stengels im März 1938 bereit erklärt, ein weiteres uferloses Krusch-Projekt, die Edition der frühmittelalterlichen Gesetzessammlung Lex Salica, zu übernehmen. Dem abgebildeten Briefentwurf Stengels vom 5.1.1939 ist zu entnehmen, dass Stengel Wilhelm Levison gegenüber Außenstehenden als wissenschaftlichen Korrektor darstellte, der von der Druckerei Böhlau anzustellen sei. Der wahre Sachverhalt erschließt sich aus Stengels Brief an Prof. Dr. Karl Rauch vom 9.2.1939 und aus seiner Aktennotiz zum Versand des Manuskripts am 8.2.1939. Karl Rauch, Inhaber des Böhlau’schen Verlages, fungierte als Mittelsmann zwischen Stengel und Levison. Allerdings klappte die Übergabe von Karl Rauch an Wilhelm Levison bis März offensichtlich nicht, denn Levison fragte in seinem abgebildeten Brief an Stengel vom 5.3.1939 nach dem Manuskript der Lex Salica, „da die Bonner Zeit allmählich dem Ende zugeht“. Levison plante seine Emigration, ab April wollte er in seinem neuen Wohnort Durham in England erreichbar ein.

Transkription

Prof. Stengel, Präs[ident] d[es] Reichsinstituts f[ür] ält[ere] d[eutsche] Geschichtskunde, hat der Firma Böhlau in Weimar zugesichert, daß der Druck der von B. Krusch bearbeiteten Lex Salica bei ihr erfolgen wird. Das M[anu]s[kript] soll demnächst an Prof. K. Rauch Bad - Godesberg geschickt werden zwecks Aushändigung an den von der Druckerei Böhlau anzustellenden wissenschaftlichen Korrektor. Nach Fertigstellung des druckfertigen M[anu]s[kriptes] ist dieses an Prof. Stengel Berlin Zehlendorf Bogenstr. 12 zu senden. Die Bezahlung des Korrektors (100 R[eichs]M[ark] je Druckbogen) übernimmt die Druckerei Böhlau und stellte den Betrag dem Reichsinstitut in Rechnung.

Berlin den 5.1.39 E. Stengel

Das M[anu]s[kript] der Lex Salica-Ausgabe von Bruno Krusch wurde von mir am 8. Februar 1939 an Prof. Rauch – Bad Godesberg zur Weitergabe an Prof. Levison geschickt. Es umfasst 206 gezählte Blätter.

Stengel

Berlin-Zehlendorf 2. Februar 1939 Bogenstrasse 12

Lieber Herr Rauch!

Besten Dank für Ihre letzten Nachrichten! Schade, dass uns die Tellenbach’sche Arbeit entgangen ist und dass die Sachsenspiegel-Arbeit auch ausfiel; da Sie so urteilen, brauche ich sie gewiss nicht erst sehen.
Das versprochene M[anu]s[kript] hatte ich aus bestimmten Gründen noch zurückgehalten. Hierbei erhalten Sie es nun. Ich bitte L. zu veranlassen, dass er mir sofort nach Erhalt an meine persönliche Anschrift (Zehlendorf, Bogenstrasse 12) den Empfang bestätigt.
Schön, dass das neue Heft des Archivs Ihren Beifall findet. Nur der Aufsatz von Huyskens ist viel zu lang. Die Druckerei hat den Umfang völlig verschätzt. Sonst hätte ich Kürzung verlangt. Der Umschlag ist gut so; allerdings bedeutete meine Kritik an dem ersten nicht, dass ich meine eigenen Sachen vermisste!
Mit den besten Grüssen und der Bitte um freundliche Empfehlung bei Ihrer Frau Gemahlin:

Heil Hitler! Ihr

Bonn, den 5. März 1939.

Hochverehrter Herr Präsident,

Sie stellten mir in Aussicht, mir Krusch’s Manuskript zur Lex Salica samt der zugrunde liegenden Kollationen vor meinem Weggang von Bonn für die geplante Durcharbeitung zu übersenden. Falls diese Absicht noch besteht, darf ich wohl in der nächsten Zeit darum bitten, da die Bonner Zeit allmählich dem Ende zugeht (wenn nicht unvorhergesehene Hindernisse eintreten), irre ich nicht, so sollte die Sendung durch Vermittlung von Geheimrat Rauch erfolgen.

Der Gregortext ist (bis auf wenige Zeilen), wie Sie gesehen haben werden, ausgedruckt. Mit der Einleitung und den Registern bin ich noch beschäftigt und werde sie in den nächsten Wochen noch hier mit allen Kräften fördern, sonst sie an dem künftigen Aufenthaltsort, wie ich hoffe, in ruhiger Arbeitsmöglichkeit bald zum Abschluß bringen. Hier war meine (subjektive!) Arbeitsfähigkeit in den letzten Wochen mitunter etwas beeinträchtigt, was Sie verstehen werden.

Nach einem kurzen Uebergang in London hoffe ich von April an erreichbar zu sein c/o Bertram Colgrave M.A. 56, South Street Durham (England).

Nachträglich herzlichen Dank für die Überweisung. Die vier Packete mit den Papieren zum Liber Pontificalis sind wohl angekommen.

Mit besten Empfehlungen Ihr ergebener Levison