Einführung

Gekränkte Wissenschaftler-Ehre

Brief von Henry Simonsfeld an Oswald Holder-Egger, 25.05.1908

Die Verzögerung seiner Universitätskarriere ließ Henry Simonsfeld dünnhäutig und gereizt werden. Ab den 90er Jahren, vor allem nach 1900, reagierte er mit Gegendarstellungen, wenn er sich unfair behandelt oder missverstanden fühlte. Bei der Lektüre der bisweilen kleinlich und zänkisch anmutenden Einlassungen ist zu bedenken, dass wissenschaftliche Kontroversen in der damaligen Gesellschaft – in der männliche Ehre kämpferisch verteidigt werden musste − selbst um Kleinigkeiten ausgetragen wurden.

Als im Jahr 1908 der erste Band der Jahrbücher Friedrichs I. erschien, in dessen über 500 Seiten nahezu zwei Jahrzehnte Arbeit steckten, publizierte Ferdinand Güterbock im Neuen Archiv eine Rezension, die auch aus heutiger Sicht unsachlich und persönlich verunglimpfend scheint. Der empörte Simonsfeld war sich sicher, dass dies nur ein neuer Tort sein konnte, den ihm Oswald Holder-Egger angetan hatte, der langjährige Mitarbeiter der MGH und Redakteur des Neuen Archivs, mit dem er sich zerstritten hatte. Er beschwerte sich zuerst bei dem Vorsitzenden Reinhold Koser (MGH-Archiv 338/242, 7.5.1908, PDF S. 227f.) und schrieb dann Holder-Egger einen vorwurfsvollen Brief, in dem er ihm grobe Unkollegialität vorhielt. Mit einer Gegendarstellung Simonsfelds und einer Replik Güterbocks schloss sich im Neuen Archiv eine kleine Auseinandersetzung über die Jahrbücher an.

Der eigentliche Anlass des Zerwürfnisses war jedoch die Anlage von Simonsfelds Editionen gewesen, die ganz nach dem Standard der alten Bände der Scriptoresreihe gestaltet war, aber vor den gestiegenen philologischen Ansprüchen Holder-Eggers keine Gnade mehr gefunden hatte. Dieser forderte Nachbesserungen bei Einleitung und Kommentar, die Simonsfeld für überflüssig hielt, und behielt sich eine Überprüfung des lateinischen Texts der Handschriften vor, für die er dann jahrelang keine Zeit fand. Simonsfeld und Holder-Egger, deren Bekanntschaft noch aus dem Göttinger Seminar Georg Waitz‘ herrührte, hatten wohl nie besonders gut miteinander harmoniert.

Transkription

München, 25. Mai 1908

Schellingstraße 89 / III.

Sehr geehrter Herr Geh[eimer] Reg[ierungs]-Rat!

In Erwiderung Ihres Schreibens vom 18. d[iese]s [Monats] sende ich hiemit meine Entgegnung für das „Neue Archiv“ in der gewünschten Fassung und enthalte mich absichtlich jeder Antwort auf Ihre Bemerkungen, nachdem über die Ungehörigkeit der Güterbock’schen Anzeige u[nd] deren Aufnahme in das „Neue Archiv“ kompetente Fachgenossen sowohl mir als auch, wie ich weiß, Ihnen gegenüber sich sehr deutlich ausgesprochen haben. −

Ich komme zu dem zweiten Teile Ihres Schreibens: dem Bruche unserer früheren Beziehungen. Wenn Sie denselben meinem seinerzeitigen Briefe zuschreiben, so muß ich dies auf der einen Seite lebhaft bedauern, kann aber auf der anderen meine höchliche Verwunderung darüber nicht unterdrücken. Sie hatten an meiner eingereichten Bearbeitung (des Tolosanus speziell, nicht auch des Cantinelli) verschiedene Ausstellungen gemacht, denen – wenigstens zum Teil – gegenüber ich zur Verteidigung meiner Arbeit auf gewisse Widersprüche hinweisen mußte, die zwischen Ihren nunmehrigen Ausführungen u[nd] Ihren früheren Ansichten bestanden, an welch letztere ich mich bei der Bearbeitung gehalten hatte. Ich mußte zugleich darauf hinweisen, daß Sie speziell zwei Dinge von mir verlangten: Untersuchung der Sprache des Tolosanus u[nd] Berücksichtigung einer kleinen italienischen Gelegenheitsschrift, die beide von mir bereits vorgenommen worden waren, was in mir notwendig den Eindruck hervorrufen mußte, daß meine einschlägigen „Untersuchungen zu den Faentiner Chroniken“ von Ihnen nicht genügend berücksichtigt worden waren. – Uebrigens wäre mir eine Auskunft erwünscht, wie es nun mit der neuen Ausgabe dieser Chroniken steht. −

Was endlich den dritten Punkt betrifft, so erkläre ich auf das bestimmteste, daß ich Ihren Aufsatz: Italienische Prophetien II aus dem „Neuen Archiv“ B[an]d XXX nicht erhalten habe, u[nd] vermag hier auf zwei Analoga zu verweisen. Am 19. Dez[ember] 1892 schrieben Sie mir wörtlich: „Die Ausgabe der Gesta Federici zu bearbeiten hat auch mir Freude gemacht. Hoffentlich habe ich nicht versäumt Ihnen ein Exemplar davon zu senden.“ Dies Exemplar habe ich nie erhalten, mir vielmehr selbst längst eines beschafft.

Und am 29. Dez[ember] 1899 schrieben Sie mir: „Immer noch habe ich vergessen, Ihnen ein Exemplar meiner vor einigen Monaten erschienenen Mon[umenta] Erphesfurt[ensia] durch die Hahn’sche Buchhandlung zusenden zu lassen, wie ich es beabsichtigte, da ich kein Exemplar davon mehr hier habe. In dem nächsten Brief an Hahns werde ich dazu Auftrag geben.“ Dies Exemplar habe ich dann erhalten.

Ich nehme an, daß es sich bei den Italien[ischen] Prophetien II auch um eine solche unausgeführte Absicht handelt.

Ergebenst

Prof. Simonsfeld