Einführung

Verbunden durch Wissenschaft und Judentum

Brief von Ludwig Traube an Adolph Goldschmidt, 22.08.1897

Mit dem gleichaltrigen Adolph Goldschmidt verband Ludwig Traube eine Freundschaft, die in den erhaltenen Briefen Traubes an Goldschmidt dokumentiert ist. Der Kunsthistoriker Adolph Goldschmidt brannte ebenso leidenschaftlich für das mittelalterliche Buchwesen wie der Philologe und Paläograph Ludwig Traube. In den Briefen tauschten sich die Beiden über mittelalterliche Handschriften wie auch über persönliche Angelegenheiten aus. Immer wieder klingt die jüdische Identität als gemeinsame Basis an, wie in dem Brief Traubes vom 2.10.1897, der mit folgenden Worten beginnt: „Lieber Freund, als Mann des alten Bundes, als kleiner Prophet, müssen Sie entschieden gewußt haben, daß ich seit Tagen an einer Eingabe an die Münchener Polizei wegen Gestank + Stinkärger in der Seestr. arbeite und in greußlichem Ärger stecke, sonst würden Sie so nett nicht gerade jetzt geschrieben haben“ (MGH-Archiv B 683,1). Noch deutlicher äußert sich Traube zu seiner jüdischen Identität am 3.11.1899, als er dem Freund brieflich seine Verlobung mit Hildegard Hirth anzeigte: „Legen Sie Ihr Ohr an meinen Mund, geloben Sie stillestes Schweigen: ich bin verlobt. Das wäre nun wohl gut. Aber schon die Quackeleien begonnen. Und zwar von welcher Seite? Der Vater - nientemeno - will, dass ich mich taufen lasse. Hoffentlich trauen Sie mir diese Dummheit + Schweinerei nicht zu“ (Original im NL Bernhard Bischoff der BSB München, Ana 553 E I,4; Kopie in MGH-Archiv B 683).

In dem abgebildeten Brief von August 1897 wird neben der Verbundenheit im Judentum vor allem der Humor und der vertraute wissenschaftliche Austausch, der die gesamte Korrespondenz zwischen Traube und Goldschmidt durchzieht, sichtbar.

Transkription

M[ün]ch[e]n 22. Aug. 1897

Motto: fugit irreparebile tempus feriarum ed io sol uno m‘apparecchio a sostener la guerra sì del lavoro e sì dello scirocco di Monaco, nonché della pioggia perpetua.

Ja, lieber uneigennütziger Freund, wenn Sie nicht wären, das wäre manchmal traurig. Aber von Zeit zu Zeit bringen Sie einen Lichtstrahl, so daß ich ‚Maseltoff‘ sagen muß + hoffe daß es soviel heissen kann als ‚ich wünsche mir Glück‘. Es flimmert mir dabei in den Augen von lauter ‚d[e]d[it] Goldschmidt‘, denn so pflege ich auf die von Ihnen geschenkten Bilder zu schreiben und deren Zahl ist Legion, ohne Übertreibung, also sagen wir Legion mit Friedenspraesenzziffer . Mit dreien aber trete ich bei Ihnen wieder an, daß sind duple vom vorigen Jahr her. Vielleicht werden Sie mit Riccaut de la Marlimère sagen: ‚er kommt da mit hohlen Rekruten‘. Aber das sei ferne, im Ernst. Die drei können Sie vielleicht bei Haseloff (sic?) verwerthen; mindestens aber will ich nicht in Versuchung kommen, sie zu verschenken, falls sie irgendwo rumliegen (denn alles andere liegt säuberlich in Mappen) aus Versehen natürlich.

- - Cheltenham liegt so

sehr weit von London kann es nicht sein, aber mir fällt ein, daß es theuer sein könnte, weil der Besitzer der H[and]s[chriften] in Middlehill Eintrittsgeld erhebt. Könnten Sie nicht Ihren Vetter Bleid (?) veranlassen den ganzen wunderbaren Rest der Phillippici in Cheltenham zu ramschen + zwischen uns beiden zu vertheilen?

Dies dumme Gewäsch habe ich gestern Abend spät geschrieben + fahre Sonntag Mittag heute fort. Also wahr ist es, daß man in Middlehill blechen muß. Ich glaube eine Guinee pro Tag. So war es wenigstens früher. Und nun will ich Ihnen etwas lustiges zeigen. Vom Codex Phillippicus 1795 sagt Rose in den Berliner Merman hss. folgendes pg.444: ‚Neuband A[n]f[an]g[s]b[uchstaben] roth u.s.w. Auf der Rückseite des letzten leeren Blattes steht FILZ-IAN von neuerer Hand? Da ist denn doch die Naivität zu weit getrieben, oder sollte Rose ein Schalk sein? Denn gewiss hat ein Berliner oder der des Berlinischen Mächtiger diess Wort nach Berappung der Guinee eingeschrieben. Filzian, gebildet wie Dummerian, Grobian = Geizkragen. Nun war in der That mein Gedanke daß Sie trotzdem oder nur in einen der wunderschönen in Cheltenham gebliebenen Bände mit Ihrer neueren Hand eine ähnliche Einzeichnung zu machen hingehen sollten. Sie finden einen Auszug des Inventars in H. Schenkl’s (des sog[enannten] Unterschenkels, der Oberschenkel ist Prof. in Wien, der Unter- in Graz) unter dem Titel Bibliotheca patrum latinorum Britanniae I^ter Bd zweite Abtheilung ‚Die Phillippsche Bibliothek in Cheltenham‘ (Wien 1892, wohl erschienen ursprünglich in den Wiener phil. hist. Sitzungsberichten). Hs. Nr 12261 und 8400 (Seite 114 + 98) bei Schenkl wäre z.B. ein guter Boden für Ihre Eintragung, aber da könnte ich noch gar viele nennen. Und ich glaube die Streife nach Cheltenham würde recht resultatvoll sein. Trotzdem ich vielleicht alles zu sehr mit palaeographischen Augen ansehe. Mit der eben genannten Cheltenhamer Commodian Hs. 12261 hängt zusammen der Berliner Phillippicus 1825 (Rose pg. 374). Wenn ich von dem durch irgendeinen Ihrer Freunde eine Schriftprobe haben könnte, so wäre ich seelig. Könnte ich auf diese Weise nicht z[u] l[etz]t meine unberechtigte Abneigung gegen Haseloff überwinden lernen? – Ich zerreisse mit einem Ruck dieses Gewebe schmutzigen Egoismuses + erinnere Sie daran, dass Sie wirklich zu thun in Wigan haben, in der Lindesiana wegen der Elfenbeine; das liegt in Lancester (also freilich von London viel weiter als Cheltenham) so

Leben Sie recht wohl. Verzeihen Sie vorstehendes Gewäsch Ihrem

Traurigen trägen treuen Traube

Noch etwas sehr wichtiges: die Photographie der H[and]s[chrift] aus S. Andreas lag ihrer letzten Sendung bei, d[as] heißt] Ihrer vorletzten.
Und noch etwas: ich habe Auftrag gegeben den Berner sog. Goldschmidtschen Codex zu photographieren + dabei eine Seite mit Miniatur (praeter P) auszusuchen.