Einführung

Ärger um nicht gedruckte Editionen

Brief von Henry Simonsfeld an Ernst Dümmler, 24.05.1902

Im Jahr 1885 übernahm Henry Simonsfeld für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften die Jahrbücher Friedrich Barbarossas, ein Vorhaben, dessen Schwierigkeiten allgemein unterschätzt wurden. Wie ihm wegen wissenschaftlicher Geheimniskrämerei erst viel später klar wurde, steckte die Bearbeitung der Urkunden Barbarossas, auf deren Fortschritte er sich verlassen hatte, noch in den Anfängen, und so versuchte er, mit einigen Rundreisen wenigstens einen Überblick über die in Italien überlieferten Diplome des Staufers zu bekommen.

Die Ergebnisse seiner Urkundenforschungen publizierte Simonsfeld in den Sitzungsberichten der Akademie, die ihn 1888 zum außerordentlichen und 1902 zum ordentlichen Mitglied wählte. In dem Maß, wie ihn die Jahrbücher immer mehr beanspruchten, nahm sein Engagement bei den MGH ab. Mit dem Vorsitzenden Ernst Dümmler verkehrte Simonsfeld distanzierter als mit Georg Waitz und Wilhelm Wattenbach, obwohl er auch zu ihm ein von persönlicher Hochachtung getragenes Verhältnis hatte. In seinen Schreiben an Dümmler, der als Mitglied der Historischen Kommission Simonsfelds Arbeit an den Jahrbüchern wohlwollend verfolgte, trat Friedrich Barbarossa zunehmend in den Vordergrund.

Der letzte Brief an Dümmler aus dem Jahr 1902 lässt den Grund für Simonsfelds Abkühlung gegenüber den MGH erkennen: die ihm übertragenen Editionen, deren Manuskripte er spätestens 1895 abgeliefert hatte, waren immer noch nicht erschienen, und im jüngsten Jahresbericht der MGH im Neuen Archiv wurden sie nicht einmal mehr erwähnt! Das setzte sich ähnlich in den folgenden Jahrgängen fort, bis ein Jahr nach Simonsfelds Tod sein Name endgültig unter anonymen „Vorarbeiten“ verschwand (Neues Archiv 39, 1914, S. 6).

Wie von Simonsfeld befürchtet, gewannen die Italiener den Wettlauf um die Neuausgabe der von ihm bearbeiteten Texte – noch im Jahr 1902 erschien Petrus Cantinelli, Tolosanus folgte erst über 30 Jahre später. Die MGH verzichteten danach auf eine eigene Edition.

Transkription

An Ernst Dümmler

Sehr geehrter Herr Geh[eimer] Reg[ierungs]-Rath!

Wider Erwarten habe ich dieses Jahr nicht das Vergnügen gehabt, Sie hier bei der Historischen Kommission begrüßen zu können. Ich habe dies um so mehr bedauert, als ich begreiflicherweise gerne mit Ihnen über meine Arbeit gesprochen hätte. Ich habe wohl bei der Durchsicht des zurückgesandten Manuskriptes einige Bemerkungen von Ihrer Hand gefunden, für welche ich sehr dankbar bin, hätte aber gerne von Ihnen gehört – und möchte daher jetzt hiedurch Sie darum bitten – was Sie etwa sonst im Allgemeinen oder Besonderen noch zu meiner Arbeit zu bemerken haben.

Was ich selbst über meine weitere Thätigkeit der Historischen Kommission mitzutheilen hatte und der weitere Gang der Angelegenheit dürfte Ihnen ja wohl offiziell von der Historischen Kommission kundgegeben werden – jedenfalls mögen Sie daraus entnehmen, daß ich nun fest an der Arbeit bin, ohne Rücksicht mehr auf die Regesten zu nehmen.

Doch wäre mir wohl eine Mittheilung über die letzteren erwünscht, welche Sie so gütig waren, mir seinerzeit in Aussicht zu stellen. Prof[essor] Hampe , den ich wegen seiner − irreführenden − Angaben in seinem sonst so schönen Nekrolog auf Scheffer-Boichorst (man hätte meinen können, dass dessen Vorarbeiten sehr weit gediehen waren!), brieflich befragte, theilte mir mit, daß er das Anerbieten Mühlbachers die Vollendung zu übernehmen, abgelehnt habe.

Gestatten Sie, daß ich zugleich für die Uebersendung Ihres Vortrages über die Streitschrift für die Priesterehe und des Jahresberichtes über die Mon[umenta] Ger[maniae] hist[orica] meinen verbindlichsten Dank ausspreche. In dem letzteren vermisse ich eine Notiz über das Erscheinen der Chronik des Tolosanus und des Cantinelli und erlaube mir zu wiederholen, daß ich sehr ungehalten darüber bin, wenn uns die Italiener auch da wieder einmal zuvorkommen. Bei meinem diesmaligen Aufenthalt in Italien (Venedig) habe ich gehört, daß die alte Handschrift des Tolosanus von der Italienischen Regierung angekauft worden sein soll u[nd] auch in dem neuen Muratori erscheinen soll!

Indem ich mit dem Wunsche schließe, daß sich Ihre Gesundheit bald wieder recht kräftigen möge, verbleibe ich mit den besten Empfehlungen

Ihr ganz ergebenster

H. Simonsfeld

München 24. Mai 1902

Schellingstraße 89 / III.