Einführung

Jüdische Mitarbeiter offiziell gekündigt Ende 1938

Brief von Edmund Ernst Stengel an Walter Holtzmann, 19.11.1938

Edmund Ernst Stengel, Präsident des Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde (MGH), wandte sich an Walter Holtzmann, den Mitherausgeber des „Deutschen Archivs für Geschichte des Mittelalters“, der Zeitschrift des Reichsinstituts. Holtzmann war in Bonn als Professor tätig und hatte darum einen guten Einblick in die rheinischen Verhältnisse. Nach allgemeinen Fragen der Zeitschriftenedition kam Stengel auf die sich verschärfende Situation der jüdischen Mitarbeiter zu sprechen.

Der antisemitisch angefeindete Bearbeiter der Edition des sogenannten Benedictus Levita, Joseph Juncker, hatte sich am 18.10.1938 in Bonn das Leben genommen, und Stengel war in Sorge um das Editionsmanuskript, das er dem Reichsinstitut sichern wollte. Anteil an Junckers Schicksal nahm er dabei nicht.

Auch die Sorge um Wilhelm Levison, von dem Holtzmann nach dessen Zwangspensionierung den Lehrstuhl in Bonn übernommen hatte, war rein organisatorischer Art. Es ging um das Geschichtswerk Gregors von Tours. Da Levison nach den verschärften Rassegesetzen die Benutzung der Bonner Universitätsbibliothek nicht mehr gestattet war, sollte Holtzmann für ihn die Bücher ausleihen. Stengel bestand darauf – und rein rechtlich war dies korrekt -, dass „auch nach heutigem Stand der Dinge (…) die allmähliche Abwicklung einer bereits laufenden Arbeit möglich und zulässig“ ist. Dabei überging er jedoch einerseits, dass die Publikation solcher Arbeiten nicht unter dem Namen einer von den Rassegesetzen betroffenen Person erfolgen konnte, und gab andererseits die Parole aus, „dass keine Arbeitsaufträge des Reichsinstituts mehr in jüdischen Händen sind“, weil er „abgebaut“ habe, was er bei seinem Amtsantritt „vorgefunden“ habe. Es ist nicht auszuschließen, dass sich Stengel bei der Wahl seiner Worte auch dadurch bestimmen ließ, dass die Post möglicherweise von Handlangern des Regimes gegengelesen wurde.

Transkription

19.11.1938.
An Herrn Professor Dr. Walter Holtzmann, Bonn (Rhein) Universität

Verehrter Herr Kollege!

Besten Dank für Ihre Mitteilungen. Dass der Satz der Besprechungen sich verzögert hat, ist nicht meine Schuld. Ich hatte zu erreichen gesucht, dass die Redaktion des M[anu]s[kripts] schon im Juli fertig würde, da ich dann bis Anfang Oktober abwesend sein musste, um endgiltig in Marburg abzubauen und meinen sehr schwierigen Umzug durchzuführen. Aber das gelang nicht. So konnte die unumgängliche Besprechung der Manuskripte, die nur mündlich sein kann, erst nach meiner Rückkehr stattfinden.

Über Junckers Testament bin ich in der Tat sofort unterrichtet worden. Die Erledigung der Sache hat damals Heymann übernommen. Er verhandelt mit dem dortigen Juristen Kunkel, und zwar nicht nur über den Benedictus im engeren Sinn, sondern auch über die übrigen Manuskripte, soweit sie auf dem Mitarbeiterverhältnis beruhen; auch auf sie dürften die Monumenta ein Anrecht haben. Ich bin mit Heymann der Meinung, dass mindestens das Benedictus-M[anu]s[kript] möglichst bald in Berlin ordnungsgemäß übergeben werden muss. Dies zu Ihrer vertraulichen Orientierung. Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie in der Sache mit Herrn Kunkel Fühlung halten und mich gegebenenfalls über den Stand der Dinge wieder unterrichten wollten.

Wenn Herr Levison die dortige Bibliothek nicht mehr betreten kann, bitte ich, Ihrem Angebot entsprechend, zu vermitteln, dass er auf indirektem Wege die Möglichkeit zur Benutzung erhält. Auch bei dem heutigen Stand der Dinge ist die allmähliche Abwicklung einer bereits laufenden Arbeit möglich und zulässig. Sie ist in diesem Falle auch unumgänglich, da sonst die Gregorausgabe nicht fertig wird. Im übrigen bitte ich für den Fall, dass mit Gerüchten gekrebst wird, davon Kenntnis zu nehmen, dass keine Arbeitsaufträge des Reichsinstituts mehr in jüdischen Händen sind. Was ich bei meinem Amtsantritt als Erbe der Vergangenheit vorfand, ist abgebaut.

Schliesslich noch kurz zur Nachricht, dass Herr Lohmann in diesen Tagen das Reichsinstitut verlässt, um im Statistischen Reichsamt eine Lebensstellung zu suchen, die wir ihm ja leider nicht bieten können. Die Geschäftsstelle hat Dr. Büttner übernommen, der mindestens für einige Zeit bei uns eingetreten ist; in der Führung der Zeitschrift unterstützt mich Dr. Weirich, der eben hier eine Dozentur erhalten hat.

Mit kollegialen Grüssen: Heil Hitler!
Ihr ergebener