Einführung

NS-konforme Grundzüge der Forschung 1937

Wilhelm Engels Aufsatz „Deutsches Mittelalter. Aufgabe und Wege seiner Erforschung“

Der junge Ministerialbeamte und Archivar Wilhelm Engel hatte 1936 die Leitung des neu geschaffenen „Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde“ übernommen, in dem fortan die Editionen der MGH erstellt werden sollten. Dabei hatte er seinen bisherigen Vorgesetzten Karl August Eckhardt ausgebootet, der für dieses Amt vorgesehen war und von Heinrich Himmler unterstützt wurde. Engel hingegen wurde von Walther Frank unterstützt, dem Präsidenten des parallel eingerichteten „Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands“ und einem fanatischer Nationalsozialisten und Vertrauten des Chefideologen der Partei, Alfred Rosenberg.

Um sich in der neuen Rolle zu profilieren, wollte Engel die Zeitschrift der MGH, „Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde“, in ein stärker politisch motiviertes „Deutsches Archiv für Geschichte des Mittelalters“ umwandeln, und versuchte mit einem Editorial dessen neue Grundzüge festzulegen. Dabei bediente er sich in Wortwahl und Tonfall der Parteirhetorik, wie sie von Walther Frank immer wieder eingesetzt wurde. Die nationalsozialistische Orientierung an Volk und Rasse wird als Lösung bisheriger methodischer Kontroversen in der Geschichtswissenschaft angepriesen, die der von den MGH betriebenen Quellenforschung einen sicheren Rahmen biete.

Inhaltlich gibt Engel kaum Anregungen außer dem vagen Hinweis, dass man die „Westpolitik des Reiches“ und die Geschichte der Hanse stärker beachten müsse, der Gegensatz von Kaisertum und Papsttum hingegen werde an Bedeutung verlieren (S. 8). Damit versucht er, eine weitgehend unveränderte Fortsetzung des MGH-Programms hinter der ideologischen Fassade zu ermöglichen, wie er insbesondere auch eine Unabhängigkeit der historischen Forschung postuliert (S. 6), obschon schon alleine die Errichtung eines staatlich kontrollierten Reichsinstituts diese in enge Schranken wies.

Bemerkenswert ist, dass Engel, der sich in späteren Jahren als Experte auf dem Gebiet angeblicher jüdischer Ritualmorde im Mittelalter empfahl, in seinem Leitartikel mit keinem Wort auf die „Judenfrage“ eingeht, und nur durch anonyme Anspielungen den jüdischen Berliner Historiker und zeitweiligen MGH-Mitarbeiter Erich Caspar erwähnt, der als „Geschichtsforscher“ im Gegensatz zur Geschichtsschreibung des (ebenfalls nicht beim Namen genannten) Johannes Haller gestanden habe. Diese als „elegantes, fast scherzhaftes Spiel“ bezeichnete Kontroverse sei durch die nationalsozialistische Orientierung überwunden – angesichts von Caspars Selbstmord 1935 aus Furcht vor dem neuen Regime geradezu eine Verhöhnung des generös als „größten deutschen Urkundenforscher“ bezeichneten Caspar (S. 9). Trotz der vollmundigen Propaganda blieb Engels Editorial weitgehend unbeachtet. Im Laufe des Jahres 1937 gewannen Engels Gegner soweit an Einfluss, dass er am 1.11.1937 auf einen Lehrstuhl nach Würzburg wechseln und das Reichsinstitut an seinen früheren Lehrer Edmund Ernst Stengel abgeben musste.

Wilhelm Engel: Deutsches Mittelalter. Aufgaben und Wege seiner Erforschung, in: Deutsches Archiv für Geschichte des Mittelalters, herausgegeben von Karl Brandi - Göttingen, Wilhelm Engel - Berlin, Walther Holtzmann - Bonn, 1. Jahrgang (1937), S. 3-10