Einführung

Italienische Funde

Brief von Ernst Perels an Paul Fridolin Kehr, 13.11.1933

Ab 1923 übernahm Ernst Perels als beamteter Professor den Lehrstuhl für Historische Hilfswissenschaften an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin von seinem verstorbenen Lehrer Michael Tangl. Er löste zwar das Dienstverhältnis mit den MGH, führte aber neben der Lehre weiterhin seine Editionstätigkeit für die Monumenta in freier Mitarbeit fort.

Als junger MGH-Mitarbeiter war Ernst Perels erstmals im Herbst 1905 nach Italien gereist und hatte in Rom für seine eigenen Editionen von Papstbriefen aus dem 9. Jahrhundert Handschriften untersucht. Für weitere Editionsvorhaben, auch die von Kollegen, hatte er in Brescia, Mantua, Florenz, Rom und Montecassino Handschriften gesichtet. Eine zweite Italienreise, diesmal begleitet von seiner Frau Antonie, führte ihn 1912 über Bern nach Mailand, Florenz, Ravenna, Cesena, Venedig, Mantua, Rom und Montecassino.

1931 übernahm Ernst Perels die Editionsvorbereitung der über 300 Briefe Hinkmars, des Erzbischofs von Reims aus dem 9. Jahrhundert, die als Band VIII der Epistolae erscheinen sollten. An diesem Editionsprojekt hatte bereits Dr. Gerhard Laehr gearbeitet, der mit 31 Jahren überraschend an den Spätfolgen seiner Kriegsverletzung aus dem 1. Weltkrieg verstorben war. Bei der Sichtung des hinterlassenen Arbeitsmaterials wurde deutlich, dass die Benutzung von italienischen, belgischen und französischen Bibliotheken vor Ort erforderlich sein würde. Daher unternahm Perels im Herbst 1933, im Jahr von Hitlers Machtübernahme, eine weitere dienstliche Reise nach Italien, auf der ihn wieder seine Frau begleitete. Für zwei Handschriften in Bibliotheken in Rom und Lucca konnte er die Datierung von dem 11. auf das 9. Jahrhundert korrigieren. Außerdem fand er in einer römischen Bibliothek einen Kodex wieder, der als verschollen gegolten hatte.

Aus jeder Zeile des Briefes, in dem Ernst Perels eine gute Woche nach der Rückkehr aus Rom dem Vorsitzenden der MGH, Paul Kehr, von den Ergebnissen seiner Forschungsreise berichtete, spricht der erfahrene Editor und Paläograph.

Transkription

Berlin 13. November 1933

Hochverehrter Herr Geheimrat!

die Untersuchungen und Ergebnisse meiner italienischen Reise, die im ganzen doch erheblich reichhaltiger und wichtiger sind als erwartet, beabsichtige ich sobald als möglich zusammenzustellen und für die Fertigstellung von Epistolae und Concilia zu verwerten. Für prinzipiell wesentlich halte ich meine vielfache Korrektur früherer Altersbestimmungen von H[and]s[chriften], wie ich auch zwei Pseudoisidor-Codices, die Hinschius als s[aeculum] XI. bezeichnet, mit Bestimmtheit nach dem 9. J[ahr]h[undert] zuschreiben zu können glaube: der eine der verschollen gewesene Vallicell[ianus], der andere in Lucca. Die Expedition dorthin ergab endlich die Feststellung des Inhalts des, soviel ich weiß, seit Mansi nicht gründlicher vorgenommenen Cod[ex] 124 der dortigen Biblioteca Capitolare. In Florenz hatte ich zunächst das Hinkmarstück der Laurenziana zu untersuchen bzw. zu kollationieren; indes fehlte in dem betr[effenden] Codex ein Teil daraus. Dann kam, am letzten mir zur Verfügung stehenden Arbeitstag, das Suchen nach dem Gaudenzi-Codex auf der Bibl[ioteca] Nazionale. Mit fast hoffnungsloser Wagnis ging ich an die handgeschriebenen Inventare der Magliabecchiani, auf die man mich verwies, vergeblich. In den Aufzeichnungen Ihrer Mitstreiter für die Papsturkunden, die ich in Rom einsehen durfte, hatte ich ja auch für Hinkmar Concilia keinerlei Hinweis gefunden, nur für alle Fälle 6 H[and]s[chriften] als entfernt in Frage kommend vermerkt. Diese bestellte ich dann und entdeckte in der ersten, die ich vornahm, *, Nr., ‚Collectio Hincmari archiepiscopi. De ecclesiis et capellis‘ und den zugehörigen Text, sowie ein, soweit ich bisher ermitteln konnte, in der Überlieferung nicht bekanntes Hinkmar-Synodalschreiben. Es ist mir ganz gewiß, daß [es die] Gaudenzi-H[and]s[chrift] ist, die ich wiedergefunden habe. (Ein Aufsatz ist hier z.Z. ‚mali usus‘). Sie ist nicht liniert. Über den uns angehenden Inhalt [habe] ich mir die erforderlichen Aufzeichnungen gemacht konnte aber die umfangreichen Stücke nicht [ab]schreiben. Das Wesentliche ist natürlich die [Schrift] und Identifizierung. Und daß sie gelang, [ist mir] begreiflicherweise ein recht erfreulicher Abschluß [der] Forschungsreise. – Seit 8 Tagen bin ich hier mitten im Arbeitsbetrieb und will heute im [Seminar] etwas von Italien, Altersbestimmung, Editionstechnik usw. erzählen.

Ich hoffe sehr, daß Ihr Befinden jetzt zu[frieden-]stellend ist.

Mit verehrungsvollen Grüßen

bin ich Ihr sehr dankbar ergebener Perels

*B. 3. 1122 (Camaldoli)