Hochtalentiert und fallengelassen

Erika Sinauer

  • * 15.6.1896 in Freiburg im Breisgau
  • ✝ [vermutlich] 1942 im KZ Auschwitz-Birkenau

Mit dem Studium der Rechtswissenschaft in Freiburg trat Erika Sinauer in die Fußstapfen ihres Vaters, des bekannten jüdischen Rechtsanwalts Moritz Sinauer. Nach ihrer Vereidigung als Rechtsanwältin 1927 promovierte sie 1928 bei Prof. Claudius Freiherr von Schwerin mit einer wissenschaftlich herausragenden Untersuchung über den Schlüssel des Sächsischen Landrechts. Ab 1929 bereitete von Schwerin mit Sinauer als Assistentin am Rechtshistorischen Institut der Uni­versität Freiburg im Auftrag der MGH die Edition des Sachsenspiegel-Landrechts mit Buch’scher Glosse vor. Der Sachsenspiegel, ein Rechtsbuch aus dem 13. Jahrhundert, besteht aus Landrecht und Lehnrecht. Das Landrecht wurde um 1325 von Johann von Buch erstmals in einer Glosse kommentiert. Der Sachsenspiegel-Text sowie die Glosse sind herausragende Quellen der mittelalterlichen Rechtsgeschichte, siehe Frank-Michael Kaufmann, Peter Neumeister: Wege zur Edition der Sachsenspiegelglosse-Landrecht des Johann von Buch, in: Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, Heft 5 (2010).

1930 übernahm Erika Sinauer die Freiburger Kanzlei des mittlerweile verstorbenen Vaters und verfolgte weiterhin ihr Habilitationsprojekt über die Entstehung der Sachsenspiegelglosse. 1935 veröffentlichte sie den wegweisenden Aufsatz „Studien zur Entstehung der Sachsenspiegelglosse“, in dem sie unter anderem auf den in Berlin liegenden Codex Hecht als geeignete Leithandschrift für eine zukünftige Edition verwies. Obwohl Sinauer fachlich qualifiziert und zielführend Richtung Edition arbeitete, ließen die MGH und ihr Doktorvater von Schwerin sie nach dem sogenannten „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933, das die Kündigung jüdischer Mitarbeiter forderte, schrittweise fallen.

Dr. Frank-Michael Kaufmann, der letztendlich 2002 die Buch‘sche Sachsenspiegelglosse für die MGH edierte, betont Sinauers gedankliche Klarheit und wertvolle Grundlagenarbeit: „Ich verdanke Frau Sinauer die Identifikation des Codex Hecht als geeignete Leithandschrift.“ Die überdimensionierten Editionsgrundsätze des Projektleiters Freiherr von Schwerin, denen die Nachfolgerin Sinauers, die Germanistin Dr. Helene Bindewald, folgte, hatten eine benutzbare Ausgabe der Sachsenspiegelglosse des Johann von Buch bis Ende des 20. Jahrhunderts verhindert.

Im Oktober 1940 wurde Sinauer von Freiburg in das französische Internierungslager Gurs in den Pyrenäen deportiert, von dort kam sie in das berüchtigte Sammellager Drancy bei Paris. Ihr Name findet sich auf der Liste eines Transports am 2.9.1942 von Drancy in das KZ Auschwitz-Birkenau, wo Erika Sinauer zu einem unbekannten Zeitpunkt ermordet wurde. 1952 wurde sie offiziell für tot erklärt und ihr Sterbedatum auf den 8.3.1945 festgelegt.


Editionen bei den MGH


Weitere Veröffentlichungen


Verwendete Literatur zu Erika Sinauer


Foto von Erika Sinauer