Einführung

Arbeitsamer Mitarbeiter

Brief von Wilhelm Levison an Ernst Dümmler, 01.07.1901, mit Zusatz von Bruno Krusch

Mit 23 Jahren trat der frisch promovierte Wilhelm Levison zu Neujahr 1899 als Mitarbeiter Bruno Kruschs in die MGH-Abteilung der Scriptores rerum Merovingicarum ein. Bruno Krusch, von Zeitgenossen charakterisiert als wissenschaftlich scharfsinnig, jedoch gegenüber Fachkollegen äußerst kritisch und polemisch, arbeitete zu diesem Zeitpunkt als Archivrat in Hannover. Levison musste ebenfalls nach Hannover ziehen und bereits knapp zwei Jahre später seinem Dienstherrn nach Breslau folgen, alle Umzüge mit seiner Mutter. Von Krusch lernte er den kritischen Umgang mit frühmittelalterlicher Textüberlieferung, die zu einem großen Teil aus hagiographischen Texten besteht. Zahlreiche europäische Heiligenlegenden aus dem Frühmittelalter wurden von Krusch und seinen Mitarbeiter Levison für die wissenschaftliche Nutzung erschlossen.

Der vorliegende Brief - einer von vielen, in denen Levison über mehr als 30 Jahre hinweg den Vorsitzenden der MGH seinen jeweiligen Arbeitsbedarf und seine Ergebnisse schrieb - gibt den Arbeitsalltag des jungen Wilhelm Levison wieder. Für heutige Verhältnisse unvorstellbar ist seine große Abhängigkeit von Krusch, nach dem er sich in den ersten Jahren im Urlaubstermin wie im Wohnort richten musste, und der diesen Brief Levisons selbstverständlich las und kommentierte. Man bekommt einen kleinen Eindruck von der schwer lesbaren Schrift Kruschs, mit der Levison sein ganzes Leben zu tun haben sollte.

Levison war später im Rückblick wichtig, dass er die Arbeit für die Scriptores rerum Merovingicarum abschloss, bevor er sich ganz seiner Universitätslaufbahn in Bonn widmete: „Erst nach Vollendung der Abteilung schied er [W. Levison] 1920 aus der Stellung eines „ständigen Mitarbeiters“ der Monumenta Germaniae aus, für die er 1899 in Wolfenbüttel, vom selben Jahre an mehrmals in England, 1907 zwei Monate lang in Italien und 1912 in Haag gearbeitet hat. Es bedarf kaum der Erwähnung, wie viel er in der Zusammenarbeit mit einem erfahrenen, scharfsinnigen Gelehrten wie Krusch gelernt hat“ (Levison, Familie, S. 64)

24 Jahre nach vorliegendem Brief des jungen Assistenten wurde der mittlerweile zum Ordinarius aufgestiegene Levison aufgrund seiner großen wissenschaftlichen Leistungen in die Zentraldirektion der MGH gewählt. Dieses Amt übte er aus, bis 1935 die MGH in ein NS-Reichsinstitut umgewandelt wurden, für das offiziell kein Jude arbeiten durfte.

Transkription

Breslau, Lehmdamm 19^Il.

Hochgeehrter Herr Geheimrat!

Hiermit möchte ich Sie bitten, mir vom 4. Juli bis zum 7. August Urlaub erteilen zu wollen.

Da ich von Herrn Dr. Krusch erfahre, dass Herr Dr. Schwalm in der nächsten Zeit nach Besançon gehen wird, so möchte ich bitten, ihm folgenden Wunsch übermitteln zu wollen: Alle Handschriften der Vita Desiderii et Reginfridi (Acta sanctorum Septembris V, 789 – 792) sind verschwunden, und ich habe nur Bruchstücke des ersten Teils in einer Einsiedler Handschrift gefunden. Da der Text immerhin einiges Interesse bietet und bei den Bollandisten an vielen Stellen falschen Lesarten der Vorzug gegeben zu sein scheint (daneben kommen nur einige zweifelhafte Varianten von Grandidier in Betracht), so wäre mir eine handschriftliche Grundlage sehr erwünscht. Es scheint nun eine Spur nach Besançon zu führen. Ich habe eine kleine Schrift des Abbé Faivre benutzt: ‚Vie de saint Dizier, tirée d’un munuscrit de l’abbaye de Bellelaye – 1660‘, die im wesentlichen eine Übersetzung der Vita darstellt. Da die Möglichkeit vorlag, dass es sich um einen Codex handelte, der selbstständigen Wert hatte, so wandte ich mich an den Abbé Faivre, und er teilte mir mit er habe die Handschrift an den Generaltvicar Anglade von Besançon gegeben: ‚tout a été égaré à la mort de ce dernier survenue peu après‘, und ich könne Näheres aus dem Werk ‚Vie des saints de Franche-Comté‘ ersehen. ich habe das letztere nicht in Deutschland bekommen können und habe auch wenig Hoffnung, dass darin etwas Brauchbares steht. Immerhin wäre ich Herrn Dr. Schwalm dankbar, wenn er sich das Buch in Besançon einmal geben liesse; vielleicht findet sich darin wenigstens eine Nachricht über den Verbleib der Handschrift.

Ihr ergebenster Wilhelm Levison.

Hochverehrter Herr Geheimrath!

Ich habe Dr. Levison bestimmt, für dieselbe Zeit um Urlaub zu bitten, während welcher ich verreise, weil mir dies im Interesse der Sache am zweckmässigsten zu sein schien. Bei der V[ita] Eligii komme ich zu mancherlei gesicherten Resultaten und am meisten freut mich, dass ich die Echtheit der vom Abbé Malnory angefochtenen Urk[unde] für Solignac von 632. schlagend nachweisen kann. Das ist die älteste unter Einwirkung der irischen Kirchenverfassung entstandene Urk[unde] und in kirchenrechtlicher Beziehung verdient sie die grösste Beachtung. Der Archivar in Limoges hat sich bereit erklärt den Text mit der dortigen H[and]s[chrift] zu vergleichen und ansonsten habe ich Lebègue um Vergleichung der etwa in Paris vorhandenen Abschriften gebeten, in der Voraussetzung, dass Sie damit einverstanden sein würden. Die Urkunde wird einen Zierat der Vorrede bilden, und ich freue mich, in diesem Falle einmal nachbauen zu können, was französische Abbés zu Unrecht zerstört haben.

Mit grösster Verehrung Ihr aufrichtig ergebener Krusch

PS. Nach Ihrer gef[älligen] Benachrichtigung von der bevorstehenden Ankunft der beiden HSS wird Levison für die Zeit von 22. Juli bis 19. August um Urlaub bitten. An Schwalm werde ich schreiben.

Vielen Dank für Ihre freundlichen Wünsche! Stets der Ihrige Krusch