Einführung

Die Katastrophe

Öffentliche Erklärung Philipp Jaffés und handschriftliche Verteilerliste, 05.05.1869

Selbst nach urkundlicher Feststellung seiner Unschuld durch Minister von Mühler ließ Philipp Jaffé die absurde Behauptung von Georg Heinrich Pertz, er hätte als Polizeispion gearbeitet, keine Ruhe, so dass er am 5. Mai 1869 die hier abgebildete „nothgedrungene Abwehr“ an die abgebildete Adressatenliste verschickte. Für diese veröffentlichte Erklärung sind teilweise mehrseitige handschriftliche Entwürfe Jaffés erhalten, die zeigen, wie er sich mit den Machenschaften von Pertz abquälte. Ein weiterer Faktor war sicherlich seine zunehmende Einsamkeit und familiäre Isolation, in die ihn seine Lebensführung gebracht hatte. Schwartz fand in Jaffés Briefen zudem Hinweise auf ein Burn-out im Frühling 1864 (S. 58).

Am 3. April 1870 erschoss sich Philipp Jaffé in dem Zimmer eines Gasthauses in Wittenberge, in das er sich zwei Wochen zuvor eingemietet hatte. Vermutlich waren mehrere Faktoren zusammengekommen, die in der Summe zu seinem Selbstmord führen.

Im Nachruf auf Jaffé suchte sein Schüler Alfred Dove nach Erklärungen für den Suizid: „Und dieses Grübeln über die mögliche Mißdeutung seiner Handlungen, die Furcht vor Zweifeln an seiner Ehre in Wissenschaft und Leben wuchs in seiner Seele, wenn sie in ihrer Abgeschiedenheit ausruhte von der Überspannung ihrer Kräfte. Gelehrter Zweispalt mit dem hochgestellten Herausgeber der Monumenta Germaniae nahm leider persönliche Färbung an; in leidenschaftlicher Erregung erhob sich Jaffé etwa vor einem Jahre zur „nothgedrungenen Abwehr“ eines häßlichen Verdachts, die kaum Jemand als ‚nothgedrungen‘ gutheißen konnte, weil wer ihn irgend kannte, ihn unfähig wußte, einen solchen Verdacht zu verdienen. Es ist tief zu beklagen, daß er keinem seiner Freunde vollen Einblick in die Gährung seines Innneren verstattet hat; so daß sie ihn hätten aufrichten können an dem Werthe dessen, was er geleistet“ (Nationalzeitung Nr. 171, 1870).

Auch Jaffés Freund Otto Lorenz deutete im Nachruf auf schwere psychische Probleme Jaffés hin: „Schlimm für Jaffé freilich war es, dass er sich wie äusserlich, so nicht auch innerlich von Pertz emancipiert hatte und dass er von dem Kampfe, den Pertz heimlich und offen gegen ihn führte, doch das Gefühl zurückbehielt, als sei er verfolgt und werde es seinem erklärten Feinde doch noch gelingen, ihn zu vernichten (…) und obwohl das Unterrichtsministerium, von Jaffé selbst zur Untersuchung aufgefordert, auch aus früherer Zeit keinen Anlass (…) fand, so hatte doch auch die von Jaffé veröffentlichte „nothgedrungene Abwehr" nicht die innere Ruhe wiedergebracht. (…) Sein Zustand gab zu Bedenken Anlass. Ueber seine Selbstmordgedanken hat er kein Geheimnis mehr gemacht, es schien, als ob er an ein unabwendbares Verhängnis glaubte, dass ihn sein furchtbarer Feind doch noch verderben könnte“ (Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien 21, 1870, S. 283f.).

Im Januar 1870 war eine 28-seitige Kritik an den „Monumenta Bambergensia“, dem 5. Band von Jaffés „Bibliotheca rerum Germanicarum“, erschienen. Jaffés offen formulierter Anspruch, bessere Quelleneditionen als die MGH zu machen, wandte sich nun gegen ihn. Die fachliche Qualität von Jaffés Reihe wurde mit schwerwiegenden Argumenten in Frage gestellt. Der Rezensent kritisierte, dass im Vergleich zu den MGH-Editionen wenig Neues hinzugekommen sei und folgerte, dass Jaffés Neueditionen im 5. Band überflüssig seien. Schwartz sieht in dieser Kritik einen möglichen Katalysator für die schwere Krise, in die Jaffé rutschte (Schwartz, S. 67). Weitere Faktoren könnten laut Schwartz die Zuspitzung einer fachlichen Kontroverse mit dem gleichaltrigen Fachkollegen Georg Waitz sowie ein unbekanntes Ereignis bei dem akademischen Festakt der Berliner Universität am 22. März 1870 gewesen sein (siehe Schwartz, S. 67ff.). Vermutlich noch am gleichen Tag stieg Philipp Jaffé in den Zug nach Wittenberge, etwa 150 km südwestlich von Berlin an der Elbe gelegen. Dort bezog er das Gasthauszimmer, in dem er sich 12 Tage später erschoss.

Transkription

Nothgedrungene Abwehr.

Der Herr Dr. Georg Heinrich Pertz, Geheimer Regierungsrath und Herausgeber der Monumenta Germaniae historica, als deren Mitarbeiter ich fast neun Jahre lang, von 1854 bis 1863, mit ihm in dem engsten Verkehr gestanden, hat, nachdem meinerseits dieses Verhältniss durch Kündigung gelöst worden war, späterhin die Andeutung ausgehen lassen, dass ich ehedem im heimlichen Dienste der Polizeibehörde gewesen sei.

Während meines ganzen Lebens, sei’s vor meiner Thätigkeit an den Monumenta Germaniae historica, sei’s während oder nach derselben, habe ich weder dauernd noch in einem einzigen Falle, weder heimlich noch öffentlich, weder unmittelbar noch mittelbar, weder in politischer noch in irgend einer andern Richtung zu einer staatlichen Sicherheitsbehörde, welche sie auch sei, eine Beziehung gehabt, die nur im Allerentferntesten Anlass zu jener Behauptung hätte darbieten können. Der gesammte Inhalt derselben ist durchweg und in allen seinen Theilen völlig unwahr, grundlos und erfunden.

Ich habe den mir befreundeten Herrn Buchhändler Hans Reimer veranlaßt, am 10. April d[ieses] J[ahres] durch ein recommandirtes Schreiben den Herrn Geh[eimen] Rath Dr. Pertz aufzufordern, sich binnen drei Tagen über jenes von ihm ausgegangene Gerücht mir gegenüber schriftlich zu erklären. Da dieses Verlangen erfolglos blieb, so erging an denselben, ebenfalls unter Stellung einer dreitätigen Frist, in meinem Auftrag am 14. April d[ieses] J[ahres] eine zweite auf das nämliche Ziel gerichtete recommandirte Aufforderung von Seiten des Herrn Rechtsanwalts John Simson.

Seitdem sind drei Wochen verstrichen, ohne dass der Geh[eimer] Rath Dr. Pertz sich zu einer Erklärung herbeigelassen hat, die mich möglicher Weise in Stand ge- setzt haben würde, den Urheber jener Aufstellung zu ergründen und gegen denselben die erforderlichen Schritte zu thun.

Wenn nun auch für meine näheren Bekannten es einer Aufklärung in dieser Angelegenheit nicht bedarf, so finde ich doch überhaupt meinen Standesgenossen wie in’s Besondere der Hochschule gegenüber, welcher anzugehören ich die Ehre habe, mich verpflichtet, diesen Gegenstand nicht ohne Erledigung zu lassen.

Ich erkläre daher den Urheber jener am Eingang dieses Schreibens näher bezeichneten, wider meine Ehre gerichteten Aufstellung, wer es auch sein mag, für einen ehrlosen Verleumder.

Berlin, den 5. Mai 1869.

Dr. Philipp Jaffé
Professor an der Universität.

Auswärtig bestimmt

[Spalte 1]

Dümmler in Halle

Wattenbach in Heidelberg

Bernays – Bonn

Bluhme “

v. Sybel – “

Varrentrapp “

Kampschulte “

Schäfer – “

Simson – Düsseldorf

Harless – “

Keinz – München

Giesebrecht “

Muffat – “

Hofmann – “

Rockinger – “

Föringer – “

Löher – “

Halm – “

Sauppe – Göttingen

Waitz – “

Droysen – “

Hauss [?] – “

Steindorff “

Müller [?] “

Cohn “

Hahnsche Hofb[uchhandlung] Hannov[er]

Grotefend “

Klempin Stettin

Gosche – Halle

Her[t]zberg “

Keil “

Rector u[nd] Senat “

Zarncke Leipzig

Voigt – “

Ritschl “

Rector u[nd] Senat “

Gersdorf “

[Spalte 2]

Dressel – München

Roth – “

Friedrich [?] “

Kluckhohn “

v. Döllinger “

Rector u[nd] Senat “

Rector u[nd] Senat – Bonn

Rector u[nd] Senat – Greifswald

v. Noorden – “

Hirsch – “

Franklin – “

Rector und Senat – Kiel

Hinschius – “

Universitätsbib[liothek] “

Rector u[nd] Senat zu Heidelberg

Universitätsbib[liothek] “

Roepell – Breslau

Lindner – “

Grünhagen “

Rector u[nd] Senat “

Universitätsbib[liothek] “

Akademie der Wissenschaften München

Maurenbrecher in Königsberg

Hopf – “ “

Rector u[nd] Senat “ “

Ruland Würzburg

Wegel[e] – “

Rector u[nd] Senat “

Contzen – “

[Spalte 3]

Stälin in Stuttgart

Kausler “

Pauli Marburg

Herrmann “

Rector u[nd] Senat “

Universitätsbib[liothek] “