Einführung

Ein Jahrhundertwerk

Brief von Ernst Heymann an Harry Bresslau, 25.05.1921

1919 sollte das hundertjährige Jubiläum der MGH gefeiert werden. Beauftragt von der Zentraldirektion, hatte sich Harry Bresslau ab 1917 des immensen Materials angenommen, um eine Geschichte der MGH seit ihrer Gründung zu schreiben. Den Erschwernissen des Krieges trotzend sichtete der Wissenschaftler Berge von Archivalien, um seinen Ansprüchen an dieses Buch gerecht zu werden. In sechs Jahren, in denen Bresslau zudem seine sonstigen Aufgaben bei den MGH zu erfüllen hatte, Kriegsdienste leistete, um seine Kinder bangte und als Vertriebener eine neue Heimat finden musste, entstand das über 700 Seiten starke Werk. Noch 1918 ging er davon aus, dass das Buch 1919 erscheinen könnte, was durch die Ereignisse zu Kriegsende hin unmöglich wurde.

In seiner „Geschichte der MGH" hielt Bresslau akribisch zahllose Dokumente fest, von denen heute viele nicht mehr verfügbar sind. Dabei ließ er menschliche Schwächen und Tragödien ebenso wenig aus wie politische Intrigen. Seine Hauptabsicht, die Darstellung der Entwicklung des „großen nationalen Unternehmens“, verlor er jedoch nie aus den Augen. „(…) es hat mir die größte Freude bereitet, in diesem Buche wieder einmal auf die Form der Untersuchung verzichten und schlichtweg erzählen zu können, wie die Dinge eigentlich gewesen sind“, schrieb Bresslau selbst über die Abfassung der MGH-Geschichte (Selbstdarstellung, S. 71).

Bresslau hob einige briefliche Reaktionen auf seine Geschichte der MGH auf, darunter auch die des Juristen Ernst Heymann, ebenfalls Mitglied der Zentraldirektion der MGH und Leiter der Abteilung Leges. Heymanns Brief verdeutlicht die Bedeutung von Bresslaus MGH-Geschichte.

Wegen seines Umfangs, seiner vielen Details und vor allem auch wegen seines Aufbaus, der sich Lesern ohne vertiefte Kenntnis der MGH-Strukturen nicht ohne weiteres erschließt, ist dieses Werk „schwere Kost“ und gleichzeitig ein unermesslicher Schatz für die Geschichte der Mittelalterforschung.

Transkription

Charlottenburg Kaiserdamm 44.

15. V. 1921.

Hochverehrter Herr Kollege!

In den Pfingsttagen ist es mir endlich möglich gewesen, inmitten des Stroms einer geradezu uferlosen Tätigkeit in Ihrer schönen Geschichte der Monumenta ruhig zu lesen, und ich möchte doch nicht versäumen, Ihnen für den großen Genuß den herzlichsten Dank zu sagen. Der überaus spröde Stoff ist zu prachtvoller Anschauung gebracht und würdevoll leben die großen Persönlichkeiten auf, die an dem Werke mitgearbeitet und das Werk beeinflußt haben. Mit tiefen Schmerzen wird man erfüllt, wenn man die Zeiten des Auflebens Deutschlands am Anfange des 19. Jahrhunderts in ihrer Einfachheit und Seelenfülle vor sich sieht und dann den Aufstieg der deutschen Wissenschaft, wie er von dem Aufblühen des Vaterlandes getragen wurde, in Ihrer schlichten und herzergeifenden Darstellung verfolgt. Wir können stolz sein, daß einer unserer ersten Geschichtsprofessoren den Monumenta und der deutschen Wissenschaft dieses Werk trotz allem Schweren der Zeit geschenkt hat, geschafft hat, selbst vertrieben und in allen seinen politischen Lehrhoffnungen enttäuscht! Ihr Buch, das ja bei der Benutzung der Monumenta Jedem unschätzbare Dienste leisten wird, ist weit darüber hinaus zu einem Meisterwerk deutscher Geschichtsschreibung geworden. Seien Sie sicher, daß ich, solange meine sehr bescheidene Mithilfe bei den Monumenta dauert, das was ich aus Ihrem Buch gelernt habe – und es ist viel – auch für diese nützen werde. Ich hänge innerlich mit viel größerem Hingeben an den Aufgaben der Unternehmung, als das infolge meiner so disparaten und mich so oft unerfreulich belastenden Tätigkeit äußerlich in die Erscheinung tritt. Ihnen, hochverehrter Herr Kollege, möchte ich bei dieser Gelegenheit aber einmal meine hohe Verehrung ausdrücken, die nicht nur dem großen Gelehrten, sondern besonders auch dem Mann gilt.

Mit den herzlichsten Pfingstgrüßen

Ihr treu ergebener Ernst Heymann