Einführung

Deutscher Patriot und Liberaler

Brief von Harry Bresslau an Reinhold Koser, 08.08.1914

Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 wurden Teile Lothringens und das Elsass vom Deutschen Reich annektiert. Die Professorenschaft an der 1872 gegründeten deutschen Kaiser-Wilhelms-Universität in Straßburg wollte die deutsche Wissenschaft im neuen Reichsland gebührend vertreten. In dieser Atmosphäre liberalen Deutschtums fand sich Harry Bresslau unter Gleichgesinnten wieder, als er 1890 die Professur in Straßburg annahm. „Das schöne Elsaß, in dem außer den wissenschaftlichen auch nationale Aufgaben zu lösen waren, ist mir bald eine liebe Heimat geworden“, schrieb Bresslau in seiner Selbstdarstellung (S. 46). Bereits nach einem Jahr wurde er erstmals in den Senat gewählt. 1904/05 war er, obwohl Jude, Rektor der Universität. Seine eigene liberale Haltung zeigt sich zum Beispiel an dem Umstand, dass die erste Promotion einer Frau an der Straßburger Universität die 1903 von Bresslau betreute Arbeit der Historikerin Else Gütschow war. Auch engagierte sich Bresslau jahrelang politisch im Liberalen Verein der Stadt Straßburg, wobei er seine politischen Aktivitäten streng von der Lehre trennte: „Von vornherein hatte ich es mir zur Pflicht gemacht, in meinen Vorlesungen in Straßburg noch mehr als in Berlin meine eigenen politischen Ansichten, soweit das überhaupt möglich ist, zurücktreten zu lassen und insbesondere jede Anspielung auf die Tagespolitik zu vermeiden“ (Selbstdarstellung, S. 49).

Briefe im MGH-Archiv zeugen von der vierzigjährigen Freundschaft zwischen Harry Bresslau und Reinhold Koser. Im vorliegenden Brief berichtete Bresslau Koser als Vorsitzendem der MGH, welche Maßnahmen er zum Schutz der MGH-Dokumente anlässlich des Kriegsausbruchs unternommen hat. Wegen starker Kurzsichtigkeit war Bresslau schon mit zwanzig Jahren ausgemustert worden. So war ihm 1870/71 die Einberufung im deutsch-französischen Krieg erspart geblieben. Als deutscher Patriot wollte er nun im frisch ausgebrochenen Krieg seinen Beitrag leisten. Die in dem Brief erwähnte Depeschenkontrolle, zu der sich Bresslau freiwillig meldete, sollte ihn in den kommenden Kriegsjahren viel Kraft kosten. Der gesamte Ton des Briefs ist geprägt von Aufbruchsstimmung, so wie sich Bresslau im ersten Kriegsjahr immer wieder positiv zu den Kriegsereignissen äußerte. Je länger allerdings der Krieg dauerte und je mehr Opfer er auch im persönlichen Umfeld forderte, umso verhaltener wurden die Äußerungen Bresslaus in seinen Briefen. Tochter und Schwiegersohn sollte er erst im Juli 1918 wiedersehen, nachdem sie neun Monate in französischen Gefangenenlagern interniert worden waren. Sein Sohn Ernst kam nach kurzer englischer Gefangenschaft unbeschadet nach Deutschland zurück.

Transkription

Straßburg, 8.8.1914.

Sehr verehrte Exzellenz!

Beiliegend schicke ich Ihnen ein Duplikat des Depot-Scheines über die in dem Keller der Bibliothek untergebrachten Manuskripte der Abteilung Scriptores, die bisher in meiner Wohnung aufbewahrt waren. Die im Archiv befindlichen Papiere werde ich zunächst dort lassen und nur für den Fall einer Belagerung Straßburgs, die von dem höheren Militär als sehr unwahrscheinlich bezeichnet wird, versuchen, ob sie noch fortzuschaffen sind; augenblicklich ist es bei dem Mangel an verfügbaren Arbeitskräften (die Einberufung des Landsturmes hat damit aufgeräumt) kaum möglich; sie sind aber auch in den feuersicheren, freilich gegen Bomben nicht geschützten Magazinen des Archives nach menschlicher Berechnung kaum gefährdet.

Hahns haben mir eine Abrechnung über die uns zu gute kommenden Eingänge an dem Verkauf der Bilder zu SS. 32 zugeschickt, die ich nachgeprüft habe. Danach haben wir 940 Mark und einige Pfennige (die Rechnung ist bei den Papieren in der Bibliothek) von ihnen zu bekommen, die sie auf das Konto der Zentraldirektion verrechnen wollen. Von dem mir zustehenden Rechte den Kredit meiner Abteilung um den gleichen Betrag zu erhöhen, brauchte ich keine Anwendung zu machen: eine Reihe von in Aussicht genommenen Ausgaben fällt ja jetzt fort.

Ich muss noch um eine zeitige Antwort auf meine Anfrage bitten, ob ich das Gehalt Wibels, der als Hauptmann (oder Rittmeister) der Reserve eingezogen ist, und das Schwartzens, der als Kriegsfreiwilliger bei den 15.en Pionieren eingetreten ist, weiter zahlen darf. Ich hoffe, sie fällt bejahend aus. Schmeidler ist bis jetzt nicht eingezogen, da in Sachsen der Landsturm nicht einberufen ist.

Ich selbst versuche, so gut es geht, meine Wipo Ausgabe, die ganz gesetzt ist, fertig zu machen und werde dann den Nicolaus von Bu trinto in Angriff nehmen – das sind die einzigen Arbeiten, die sich nach dem Schluß der Bibliothek mit den mir zu Gebote stehenden Hilfsmitteln ausführen lassen. Überdies werde ich hoffentlich von morgen an bei der Depechenkontrolle des Generalkommandos die Möglichkeit finden, mich noch etwas nützlich zu machen. Der Dienst wird freilich etwas stramm sein.

Wir sind hier in der besten Stimmung, soweit es die Allgemeinheit betrifft; die Mobilmachung hat wunderbar geklappt, und bis auf ganz kleine Kreise ist das Elsass ganz deutsch geworden: ich sehe täglich mit Staunen und Rührung, wie das besonders bei den sog. kleinen Leuten der Fall ist. Persönlich habe ich schwere Sorgen um meine Kinder am Kongo , von denen wir für die Dauer des Krieges völlig abgeschnitten sind und von denen wir keine Nachrichten empfangen, wie wir ihnen auch keine geben können.

Mein Sohn war am 25. Juli auf der Reise von Brasilien in Porto angekommen, wohin ihm seine Frau entgegengereist ist; er hat mir am 3. August aus Lissabon telegraphiert, dass das Lloydschiff, auf dem er nach Genua reisen wollte, auf die Kunde von dem Kriegs zustande umgekehrt ist und dass er jetzt versuche auf einem holländischen Dampfer über Amsterdam heimzukehren. Hoffentlich gelingt es ihm und die Engländer bringen nicht heraus, dass er deutscher Sanitätsoffizier (Stabsarzt der Reserve) ist. Ich glaube aber, man würde ihn auch dann nach der Genfer Konvention freilassen werden müssen.

Wie geht es Ihnen und den Ihrigen? Für eine freundliche Nachricht wäre ich Ihnen dankbar. Wigand ist, soviel ich weiß, in der Schweiz; Götz ist Hauptmann in einem sich in München formierenden Einsatzbataillon.

Stets der Ihre H. Bresslau

Dem Depotschein zufolge sind nur Sie und ich berechtigt die Rückgabe der Manuskripte zu verlangen.

[Depotschein mit Stempel „Kaiserliche Universitäts- und Landesbibliothek Strassburg“]

Kaiserliche Universitäts- und Landesbibliothek.

Zur Aufbewahrung während des Krieges erhalten
von Prof. Dr. Bresslau
Gegenstand 1 Kiste u. 2 Pakete
Aufbewahrung: I, N 10
Eigentum von R. Koster

Straßburg, den 6. August 1914
Wolfram