Einführung

Geheimer Kontakt

Briefkarte von Willhelm Levison an Edmund Ernst Stengel, 21.05.1939; Antwortbrief Stengels an Levison, 19.06.1939

Die MGH waren seit 1935 als Reichsinstitut dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung unterstellt und sollten durch ihre Forschungen das „neue Deutschland“ mithilfe mittelalterlicher Geschichtsquellen legitimieren. Die Mitarbeit von Juden, deren Vertreibung ein Kernziel der NS-Politik war, in einem „Reichsinstitut“ widersprach sowohl der NS-Rassenideologie und als auch der Gesetzgebung des NS-Regimes. Edmund Ernst Stengel, seit 1937 Präsident des Reichsinstituts, befand sich in einer Zwickmühle: Er hatte keine jüdischen Mitarbeiter zu dulden und identifizierte sich darüber hinaus vielleicht selbst mit der NS-Rassenideologie. Jedoch war der Jude Wilhelm Levison als Mitarbeiter für seine ehrgeizigen Pläne unersetzbar. Mit SA-Mitglied Walter Holtzmann, Nachfolger auf dem Bonner Lehrstuhl Levisons und in Kontakt mit dem zwangspensionierten Vorgänger, hatte Stengel daher im Herbst 1938 das Übereinkommen getroffen, Levison den Zugang zur Bonner Universitätsbibliothek zu ermöglichen (MGH-Archiv B 567, Blatt 291).

Nach erfolgreicher Übersiedlung stand Wilhelm Levison weiterhin aus Durham mit Edmund Stengel in Verbindung. Die Karte von Mai 1939 ist wohl die erste mit der Absenderadresse 4 Victoria Terrace in Durham. Aus der Anmerkung „oder wie bisher an Bertram Colgrave, M.A., 56 South Street“) kann geschlossen werden, dass Stengel bereits vor dem 21.5.1939 Post an Levison nach England geschickt hatte. Alle, die Levison kannten, berichten von seiner großen Rücksichtnahme; sichtbar auch an dieser Karte, wo er, der Vertriebene, Stengel einen „arischen“ Adressaten anbietet, selbst nur mit seinen Initialen unterschreibt und ohne die leiseste Klage an seine Arbeit für das Reichsinstitut anknüpft.

In seinem Antwortbrief bat Edmund Stengel um strenge Verschwiegenheit bezüglich der Zusammenarbeit: Einleitung und Register für die Historia Francorum des Gregor von Tours mussten fertiggestellt, das Manuskript für die Edition der Lex Salica von Bruno Krusch sollte bearbeitet werden. Stengel konnte zufrieden sein: Der jüdische Mitarbeiter war ganz im Sinne des Regimes aus Deutschland ausgewandert und trotzdem im Geheimen weiter für ihn tätig.

Transkription

4 Victoria Terrace (oder wie bisher, an Bertram Colgrave, M.A. 56 South Street) Durham (England)

21.V.1939.

Hochverehrter Herr Kollege,
Nachdem alle Schwierigkeiten der Übersiedlung glücklich überwunden sind, wir auch ein neues Heim in dieser landschaftlich und geschichtlich reizvollen kleinen Stadt beziehen konnten, habe ich die Arbeit am Gregor von Tours wieder aufgenommen, die unter der so vielfältigen anderen Anforderungen der letzten Monate sehr zu wünschen übrig ließ. Die Arbeit an dem Register ist jetzt im vollen Gange und soll möglichst schnell zum Abschluß gebracht werden; die teilweise schon bearbeitete Einleitung mache ich dann fertig, während die Druckerei mit dem Register beschäftigt ist.
Seit kurzem bin ich hier Honorary Fellow der Universität ohne andere Verpflichtungen als die wissenschaftlicher Arbeit.
Mit besten Empfehlungen Ihr ergebener W. L.

Berlin-Zehlendorf Bogenstr. 12, d[en] 19.6.39

Sehr verehrter Herr Kollege!

Die Antwort auf Ihre Karte vom 21. Mai blieb länger unerledigt, da ich sie mit dem nun gleichzeitig abgehenden Sonderdruck begleiten wollte, der erst jetzt in meine Hände kam; ich hoffe, daß Sie Einiges darin, namentlich die frühmittelalterlichen Abschnitte (Vita Columbae!) interessieren wird. Ich freue mich, daß das Register bald fertig ist (es ist dann direkt an die Druckerei zu schicken). Die Arbeit bitte ich nach wie vor streng vertraulich zu behandeln, vor Allem aber darf von der Lex außer R. in God. und Ihrer Gattin, der ich mich zu empfehlen bitte, Niemand wissen! Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir auch von dieser Arbeit, an die Sie hoffentlich auch demnächst herantreten werden, gelegentlich berichten würden. Möchten Sie auch fernerhin in Ihrem neuen Heim voll zufrieden sein!

Mit kollegialen Grüßen Ihr ergebener E. Stengel