Einführung

Persönliche Würde

Brief von Ernst Perels an Edmund Ernst Stengel, 15.03.1940

„In der charakterlichen Erziehung blieb mir der von ihm aus Römischem Recht zitierte Satz: Qui tacet consentire videtur, ‚Wer schweigt, erweckt den Anschein zuzustimmen‘ in bleibender Erinnerung“, schrieb Perels Sohn Otto in seinen Erinnerungen an den Vater (Perels, 1991, S. 11).

An diese Prämisse hielt sich Ernst Perels im März 1940 und schickte Edmund Ernst Stengel ungefragt seinen Bericht zum Verlauf der Editionsarbeit an den Hinkmar-Briefen. Er handelte damit so, wie es dem leitenden Editor gebührte: Rechtzeitig vor Abfassung des Jahresberichts durch den Leiter der MGH hatten die Bearbeiter ihre Projektberichte abzugeben. Das hatte Perels seit 1904 gemacht und tat es auch 1940 mit diesem Schreiben, ungeachtet seiner 1938 erzwungenen Rücktrittserklärung. Explizit benannte er seine „stillschweigende Aufsicht und Beihilfe“. Der MGH-Mitarbeiter und Wissenschaftler Ernst Perels blieb sich damit treu, entgegen der entwürdigenden Machenschaften Edmund Ernst Stengels.

Eine Spitze erlaube sich Perels in der Anrede: Er ließ alle Titel von Edmund Ernst Stengel weg und schrieb anstatt „Sehr geehrter Herr Präsident“ oder „Sehr geehrter Herr Prof. Stengel“ einfach „Lieber Herr Stengel“ – ein kleiner Affront.

Transkription

Berlin-Lichterfelde Weddingenweg 64.

15. März 1940.

Lieber Herr Stengel!

Ich darf annehmen, dass es Ihnen erwünscht sein wird, meinen Eindruck vom Stande der Vorarbeiten zum 2. Faszikel der Hinkmarausgabe zu erfahren, nachdem ich in den letzten Monaten das mir von Fr[äu]l[ein] Dr. Ertl als annähernd druckfertig bezeichnete Manuskript einer Anzahl Briefe (im Umfang von etwa 10 Druckbogen) durchgearbeitet habe. Die Textherstellung dieser Stücke war im wesentlichen von mir erledigt worden, doch hatte ich es für notwendig erklärt, noch eine sorgfältige Nachprüfung des von Gerhard Laehr nicht genau kollationierten cod. Pal. lat. 296 vorzunehmen, eine Aufgabe, der sich nunmehr Fr[äu]l[ein] Ertl unterzogen hat. Allerdings hat sie dabei, entgegen meiner Absicht, keine selbstständige Neukollation aufgeschrieben (was für künftige Nachprüfungen wünschenswert gewesen wäre), sondern die textlichen Korrekturen direkt in das Druckmanuskript eingetragen. Die z[um T[eil] von mir entworfenen Sachanmerkungen bzw. Zitatfeststellungen sind von ihr ergänzt und nach Möglichkeit vervollständigt worden. Was für diesen Teil des Manuskripts hauptsächlich noch aussteht, ist – abgesehen von verschiedenen Einzelpunkten, die mir bei der Durchsicht auffielen – die Feststellung einiger Dutzend schwieriger Zitate, die jedoch grossenteils ermittelbar sein werden. An weiterem Manuskript sind nach meiner Schätzung etwa 4 – ebenso wie die Flodoardstücke von Fr[äu]l[ein] Ertl bearbeitete – Druckbogen nahezu fertig, die mir freilich noch nicht vorgelegen haben. Von dem Restteil des im ganzen auf etwa 30 Bogen veranschlagten Manuskripts sind von mir schon früher ebenfalls die Texte grundsätzlich konstituiert und ein Teil der Noten bearbeitet worden. Aber von diesen ist der bei weitem grössere Teil noch zu erledigen. Zur Klarstellung eines wichtigen Stückes von interessanter Komposition bereitet Fr[äu]l[ein] Ertl einen Aufsatz vor, auf dessen Ausführungen und Ergebnisse ich gespannt bin und der hoffentlich das betreffende Problem sicher eindeutig lösen wird. Ein Entwurf dieser Arbeit ist mir noch nicht zur Kenntnis gekommen. Nach ihrer Vollendung wir der Abschluss des restlichen Manuskripts in Angriff genommen werden können. Aber auch hier wird die Feststellung der Quellenzitate noch geraume Zeit in Anspruch nehmen. Den Registern des ganzen Bandes wird später zweckmässig auch ein Autoritätenverzeichnis beigefügt werden. Ich möchte meinen Vorschlag wiederholen – dem bislang nicht entsprochen worden ist –, mit dessen Anlegung alsbald zu beginnen. Da Hinkmar sich in seinen Zitaten sehr viel wiederholt, wird dadurch die Weiterarbeit erleichtert und beschleunigt. Eine erste Probe für ein derartiges Register (vorläufiger Zettelkatalog) hatte ich selbst entworfen, zunächst nur praktisch als Arbeitswerkzeug. – Von den schweren Desideraten auf diesem Gebiet der Quellenfeststellung hoffe ich eine erhebliche Anzahl erledigen zu können.

Sie wünschen doch, wie ich glaube, vor der Drucklegung das ganze Manuskript von etwa 30 Bogen vorgelegt zu erhalten. Ich weiss nicht, wie man bereits zu Anfang dieses Jahres damit rechnen konnte. Selbst bei völlig gleichmässiger Fortführung und unter meiner ständigen stillschweigenden Aufsicht und Beihilfe wird nach meiner Meinung wohl mindestens noch ein weiteres Arbeitsjahr dafür erforderlich sein, – wenn anders die Edition in meinem Sinne gut werden soll. Fr[äu]l[ein] Ertl ist mit ihren vorzüglichen Anlagen für die editorische Arbeit sehr tüchtig vorgebildet, sie ist vortrefflich eingearbeitet, hat Ideen und einen eminenten Ehrgeiz gerade zu selbständiger Arbeit. Woran es ihr in dieser Beziehung noch gebricht, ist allgemeine und auch spezielle Erfahrung sowie Ueberblick, auch der historische, über die Gesamtarbeit und Sicherheit der Formulierung. Sie ist eine ausserordentlich brauchbare Mitarbeiterin der Monumenta. Um ohne Beistand und Direktiven vorzügliche Editionen zu liefern, müsste sie aber noch viel hinzulernen.

Mit den besten Grüssen

Ihr Perels