Einführung

Gemeinsame Leidenschaft

Brief von Ludwig Traube an Ernst Dümmler, 03.11.1887

Ernst Dümmler, Mitglied der Zentraldirektion der MGH und Leiter der Abteilungen Antiquitates, Epistolae und Libelli de lite, war auf die außerordentlichen Fähigkeiten Traubes durch eine Rezension aufmerksam geworden, die der siebzehnjährige Berliner Gymnasiast verfasst hatte. Seitdem bestand eine rege Zusammenarbeit über Briefe zwischen dem etablierten Wissenschaftler und dem rund 30 Jahre jüngeren Ludwig Traube. Bereits 1884 übertrug Dümmler dem 23jährigen Traube die selbstständige Bearbeitung von Autoren für den 3. Band der ‚Poetae Latini aevi Carolini‘ und überließ ihm schließlich die alleinige Herausgabe. Mit 27 Jahren habilitierte sich Traube 1888 mit Untersuchungen zur Dichtung der karolingischen Zeit. Dieser Arbeit lagen zum großen Teil Briefe zugrunde, die Traube an Dümmler zu Fragestellungen der ‚Poetae‘ geschrieben hatte.

Traubes Leidenschaft für mittelalterliches Latein, sein Ringen um eine möglichst authentische Textfassung in den Editionen und seine hohen Ansprüche an die eigene Arbeit klingen immer wieder in den Briefen an, die die fruchtbare Zusammenarbeit der beiden Männer dokumentieren.

Schon im ersten erhaltenen Brief vom 4.2.1884 an Ernst Dümmler verwendete Ludwig Traube Groß- und Kleinschreibung in Art der mittelalterlichen Schreiber; so auch im vorliegenden Brief.

Transkription

München 3 XI 87

Von der Tannstr. 9/II

für Ihre liebenswürdige karte, hochverehrtester herr professor, bin ich Ihnen noch dank schuldig.

ich muß Ihnen gestehen, daß ich darauf gefasst war, keiner günstigen anzeige gewürdigt zu werden: ich gehöre nicht zum „ring“. Was bin ich herrn Hümer und herr Ebert (d. i. doch wol der anonymus des lit[erarischen] centr[a]lbl[attes]?) freilich auch was sind sie mir? – sehen Sie nun wie der selbe hr Hümer der mir zu verstehen gibt ich sei kein philologe herrn Hassler in der liebenswürdigsten weise als frater in Apolline begrüsst. und doch aufrichtig gesprochen halte ich die Hasslerschen vitae für eine fleissige schülerarbeit, meine poetae für eine auf dem gebiet m[ittel]a[lter]licher philologie erträgliche leistung. trotzdem ich nicht leugne, dass sie hinter meinen eignen allerdings sehr hochgespannten anforderungen zurückbleiben. je unerbittlicher man der wahrheit durch dick und dünn nachstrebt und derartige kritische ausgaben weder zu müssigem spiel willkürlicher launen misbraucht noch sich genügt sie als unverarbeitetes material von sich zu schleudern, um so höher steigern sich eben diese anforderungen an die „reinlichkeit“ - wie es Haupt nannte, - bis zur einseitigkeit, krankhaftigkeit, unproduktivitaet. so hat Haupt nie genügt, viel angefangenes verworfen, wenig abzuschliessen (= herausgeben) sich entschlossen. durch eine lobende selbstanzeige würde mein werk so wenig besser wie es durch misgünstige oder unreife kritiken jetzt schlechter wird. aber verächtlicher würde es mir werden, wenn ich sagen müsste: jetzt einmal da und da steckts; da habe ich erst so und soviel voruntersucht; da ist der fleiß, da die gelehrsamkeit und da der scharfsinn.

das leben des Radbert Paschasius kann ich für die allgem[eine] D[eutsche] biographie nicht schreiben: über den lebensgang habe ich alles gesagt was ich herausgebracht habe. (vgl. übrigens die PRAETERITA), die werke noch mal vorzunehmen um das urteil über den mann abzuschliessen kann ich mich jetzt nicht mehr entschliessen.

nächstens werde ich mir erlauben Ihnen den rest der mir für die poetae anvertrauten schriften zu übersenden; ich bin augenblicklich in der grössten unordnung in folge meines umzugs nach der von der Tannstr. hier nun endlich im eignen heim hoffe ich Sie übers jahr begrüssen zu können.

mit herzlichen grüssen in aufrichtiger ergebenheit Ihr

Ludwig Traube