Einführung

Hoffnungsvolle Anfänge

Brief von Henry Simonsfeld an Georg Waitz, 01.04.1878

Henry Simonsfeld und seine Mutter Sophie bewohnten ab dem Herbst 1870 eine geräumige Wohnung in erstklassiger Lage im vierten Stock der Münchner Maximilianstraße 40. Dort traf im Juni 1877 ein Brief von Georg Waitz ein, der auf der Suche nach Bearbeitern für italienische Geschichtsquellen war, wofür sich Simonsfeld durch seine Dissertation über venezianische Geschichtsschreibung qualifiziert hatte. Rasch entwickelte sich daraus das Angebot, nicht nur die ältesten historiographischen Texte Venedigs („Chronicon Altinate“) zu edieren, sondern auch als „Hülfsarbeiter“ bei den MGH einzutreten. Im Vergleich zur Bibliothekslaufbahn, auf die Simonsfeld damals hoffte, erschien die MGH-Stelle jedoch wenig attraktiv: Die Konditionen − Befristung, Umzug nach Berlin und starke zeitliche Beanspruchung − bewogen ihn, am 1. April 1878 eine höfliche Absage zu formulieren.

Am meisten Gewicht für die Ablehnung hatten wohl Simonsfelds Plan, sich zu habilitieren, und die Abneigung seiner Mutter Sophie, von München wegzuziehen. Noch im Jahr 1878 reichte Simonsfeld einige Kapitel seiner Untersuchung des „Chronicon Altinate“ als Habilitationsschrift an der Ludwig-Maximilians-Universität ein und wurde zum Privatdozenten ernannt. Er beteiligte sich fortan rege als freier Mitarbeiter an den Arbeiten der MGH, deren Archiv mit etwa 70 Briefen von seiner Hand heute den größten Bestand an Archivalien bewahrt, der an einem einzigen Ort zu Simonsfelds Lebensweg erhalten geblieben ist.

Transkription

Hochverehrter Herr Geh[eimer] Reg[ierungs]-Rath!

So schwer es mir wird, muß ich nun doch Ihnen, hochverehrter Herr Geh[eimer]-Rath, meinen Entschluß in der bewußten Angelegenheit mittheilen, den ich, wie ich wohl versichern darf, nicht mit leichtem Herzen gefaßt habe. Denn welchen Werth es haben muß, unter Ihrer unmittelbaren Leitung zu arbeiten, und welche Aussichten ich mir damit möglicherweise verschließe, weiß ich wohl. Aber aus Gründen, welche hauptsächlich in persönlichen Verhältnissen liegen, mit deren Darlegung ich Sie heute nicht belästigen will, sehe ich mich veranlaßt, auf das ehrenvolle Anerbieten für jetzt nicht einzugehen, und gedenke mich, sobald ich die Arbeit über das Chron[icon] Altinate beendet haben werde, doch hier zu habilitieren.

Setzte der von Euer Hochwohlgeboren mitgetheilte Wortlaut des Vertrages nicht fest, daß die ständigen Mitarbeiter an dem Wohnsitze des Leiters der Abtheilung ihren Aufenthalt zu nehmen haben, so würde ich mir die Frage erlauben, ob es denn nicht möglich sei, daneben hier – etwa mit der Verpflichtung eines zeitweisen Aufenthaltes in Berlin und vielleicht auch gegen einen geringeren Gehalt – als Mitarbeiter einzutreten. Jedenfalls aber bin ich bereit, wie das Chron[icon] Alt[inate], später eventuell noch andere, insbesondere italienische Quellen für die Monumenta zu übernehmen.

Indem ich hoffe, daß Sie, hochverehrter Herr Geh[eimer]-Rath, mir trotz meiner ablehnenden Antwort, wie bisher, auch ferner Ihr gütiges Wohlwollen bewahren werden, bleibe ich mit vorzüglicher Hochachtung

Euer Hochwohlgeboren
ganz ergebener

H. Simonsfeld

München, den 1. April 1878