Einführung

Tiefer Lebenseinschnitt

Brief von Robert Holtzmann an Harry Bresslau, 11.02.1919

28 Jahre hatte Harry Bresslau mit seiner Familie in Straßburg gelebt; „die 28 Jahre meiner Tätigkeit in Straßburg sind die glücklichste Zeit meines Lebens gewesen“, wie er selbst schrieb (Selbstdarstellung, S. 46). Hier kam er zu hohen Ehren, hier studierten seine Kinder, hier hatten die Bresslau‘schen Familienmitglieder wichtige Aufgaben und Positionen in der Stadtgesellschaft inne.

Wenige Tage nach der französischen Besetzung Elsass-Lothringens am 1. Dezember 1918 wurde Prof. Harry Bresslau mit sofortiger Wirkung als „pangermaniste militant“ aus Straßburg ausgewiesen. Als ausgewiesener Deutscher durfte er ausschließlich 40 kg Gepäck mitnehmen. Auch wenn er nicht mit der Vertreibung aller Deutschen aus Straßburg gerechnet hatte, hatte Bresslau glücklicherweise vorausschauend im Herbst 1918 die Unterlagen der Scriptores- und Diplomata-Abteilung, die in Straßburg lagerten, sowie seine Materialien und das unfertige Manuskript der MGH-Geschichte nach Berlin geschickt.

Das Ehepaar Bresslau fand zunächst bei der Schwester Harry Bresslaus in Hamburg eine Bleibe. In diese Zeit fällt der Brief Robert Holtzmanns . Der 25 Jahre jüngere Holtzmann hatte bei Bresslau studiert und um die Jahrhundertwende als sein Mitarbeiter in der Abteilung Diplomata gearbeitet, bevor er sich für Mittelalterliche und Neuere Geschichte an der Universität Straßburg habilitierte. Nach einer ersten Professur in Gießen und zweijährigem Kriegseinsatz erhielt Holtzmann 1916 den Ruf nach Breslau, wohin er das vertriebene Ehepaar Bresslau im Februar 1919 einlud. Letztendlich zogen Harry Bresslau und seine Frau im Oktober 1919 nach Heidelberg, wo sich der 71-Jährige hauptsächlich seinen Aufgaben bei den Monumenta widmete.

Transkription

Breslau, 11.2.1919

Hochverehrter Herr Professor,

Oft habe ich in den letzten Wochen an Sie und Ihr Schicksal gedacht, und es drängt mich, heute mit einem Vorschlag an Sie heranzutreten. Sie haben nun ein langes reiches Leben im akademischen Kreise verbracht und empfinden es gewiss schwer, nun durch einen brutalen Gewaltakt auf die Straße gesetzt und ohne direkte Verbindung mit einer Universität zu sein. Deshalb möchte ich Ihnen den Vorschlag machen, Ihren Wohnsitz hierher zu verlegen. Ich glaube, versichern zu dürfen, dass die hiesige Fakultät es sich zur Ehre anrechnen würde, eine Honorar-Professur für Sie zu beantragen und Sie in ihrer Mitte begrüßen zu dürfen. Mir persönlich könnte natürlich nichts lieberes und nichts angenehmeres passieren, als auf diese Art wieder in nächste Beziehung zu Ihnen zu treten und Ihres Rates, wie ehedem, so auch in Zukunft teilhaftig zu sein. Bitte also ziehen Sie diese Angelegenheit einmal in wohl wollende (aber hoffentlich nicht allzu lange andauernde) Erwägung und sagen Sie bitte auch Ihrer Frau, dass meine Frau und ich uns sehr freuen würden, Sie hier begrüßen zu dürfen.

In der Hoffnung, keine Fehlbitte zu tun, und mit herzlichen Grüßen

Ihr aufrichtig ergebener R. Holtzmann

PS. Ist die Monumenta-Festschrift eigentlich erschienen?

Und was sagen Sie zu Riess (im letzten Heft der Hist[orischen] Vierteljahresschr[ift])?

Noch eine Frage. Ich habe hier einen für quellenkritische Fragen recht begabten Schüler, der eine Dr.-Arbeit will. Würden Sie Bertold-Bernold empfehlen? Ekkehard? Ligurinus? Oder wäre eine Vorarbeit für die Monumenta zu machen?