Einführung

Große finanzielle Schwierigkeiten 1926

Übersicht der Abteilungsleiter‚ ständigen und nichtständigen Mitarbeiter von Paul Fridolin Kehr, 10.12.1926

Der Vorsitzende der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica (MGH), Paul Fridolin Kehr, erstellte am 10. Dezember 1926 auf Verlangen des Reichsministers des Inneren, Wilhelm Külz, eine Aufstellung der bei den MGH beschäftigten Abteilungsleiter, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie Mitarbeiter auf Honorarbasis, in der er selbstverständlich auch die jüdischen Wissenschaftler Wilhelm Levison, Hermann Reincke-Bloch, Ferdinand Güterbock, Josef Juncker und Paul Hirsch ohne weitere Kennzeichnung aufführte. Auch verwies er auf den kurz zuvor verstorbenen Juden Harry Bresslau, langjähriges und hochverdientes Mitglied der Zentraldirektion der MGH.

Diese Aufstellung dokumentiert eine finanzielle Misere. Seit dem Ende des Krieges, vor allem seit der Hyperinflation 1923, waren die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland allgemein schwierig. Auch bei den MGH waren die Geldmittel knapp. Positionen blieben unbesetzt; die Weiterführung etlicher Editionsprojekte war gefährdet. Abteilungsleiter, deren Gehälter nicht mehr gezahlt werden konnten, verzichteten freiwillig auf ihre monatlichen Vergütungen und erhielten für ihre jeweiligen Arbeiten nur noch sogenannte „Bogenhonorare“.

Zwar war die wirtschaftliche Dauerkrise 1926 bereits beendet. Doch die Einführung einer stabilen Währung 1923 und die im Dawes-Plan 1924 erfolgte Neuregelung der deutschen Reparationszahlungen an die Siegermächte des Ersten Weltkrieges änderten an den ökonomischen Problemen der MGH offenbar nichts, wie Kehrs Liste zeigt. Denn die „Goldenen Zwanziger Jahre“ brachten nur eine vorübergehende wirtschaftliche Stabilisierung. Bereits Ende 1929 setzte mit Beginn der Weltwirtschaftskrise erneut ein dramatischer Niedergang ein, unter dem die deutsche Wirtschaft, die weiterhin durch hohe Reparationszahlungen belastet und von amerikanischen Krediten abhängig war, besonders zu leiden hatte. Ganze Industriezweige kamen mehr oder weniger zum Erliegen. Die Zahl der Arbeitslosen stieg rasant und erreichte 1933 mit nahezu sechs Millionen ein bisher nicht gekanntes Ausmaß.

Die MGH – seit dem frühen 19. Jahrhundert eine Institution deutscher Nationalgeschichtsschreibung – standen nun praktisch vor dem Aus.

Transkription

10/XII 1926

Übersicht
über die Abteilungsleiter, Mitarbeiter und Hilfsarbeiter bei den Monumenta Germaniae historica und ihre Vergütungen und Honorare

I Abteilungsleiter

1) Scriptores, bisher Prof. Bresslau in Heidelberg (+ 29. Okt. 1926), wird zum 1 April zu ersetzen sein, vorläufig Prof. Kehr,

2) Leges Geheimrat Prof. Heymann in Berlin,

3) Constitutiones Geheimrat Prof. Kehr provisorisch,

4) Concilia vacat,

5) Diplomata I (Karolinger) und II (Salier) Geheimrat Prof. Kehr,

6) Diplomata III (Staufer) Hofrat Prof. v. Ottenthal in Wien,

7) Epistolae Geheimrat Prof. Kehr und Prof. Brackmann in Berlin,

8) Antiquitates Prof. Strecker in Berlin.

9) Endlich die Redaktion des Neuen Archivs, die jetzt auch dem Vorsitzenden obliegt, der dabei von dem ständigen Mitarbeiter Dr. Laehr unterstützt wird. Die Abteilungsleiter bezogen bis zum Jahr 1923 feste Vergütungen je nach dem Umfang ihrer Beteiligung, Prof. Bresslau 5000 M[ark], Prof. Tangl 2250 M[ark], Prof. Strecker 1800 M[ark], die übrigen Herren je 1500 M[ark], welche Summe in den älteren Statuten als Normalsatz vorgeschrieben war. Die Herren haben damals in der großen finanziellen Not freiwillig auf ihre Vergütungen verzichtet und beziehen jetzt nur noch Bogenhonorare für die von ihnen selbst hergestellten Ausgaben. Doch ist das auf die Dauer kaum tragbar, da die Leitung der Abteilungen, die Anleitung und Überarbeitung der Arbeiten der Mitarbeiter und die Lesung der Korrekturen ihnen eine fortlaufende und verantwortliche Arbeit aufbürdet, eine Arbeit, die auch der rüstigste Vorsitzende nicht leisten kann.

II Ständige Mitarbeiter,

d.h. ältere und jüngere Gelehrte, welche dauernd, wenn auch nicht ausschließlich für die Monumenta arbeiten, und feste Vergütungen in Monatsraten dafür empfangen.

1. Archivdirektor a.D. Dr. Krusch in Hannover, seit 48 Jahren Mitarbeiter (Lex Salica und Gregor von Tours Historia Francorum) monatliches Honorar 360 M[ark] = 4320 M[ark].

2. Dr. Finsterwalder in Berlin (Concilia und Verwaltung d[er] Traube-Bibliothek) monatlich 250 M[ark] = 3000 M[ark]

3. Dr. Laehr in Berlin (Epistolae und Mitredaktion des Neuen Archivs) monatlich 250 M[ark] = 2400 M[ark]

4. Dr. Zwölffer in Berlin (Epistolae) monatlich 200 M[ark] = 2400 M[ark]

5. Fräulein Dr. Hüttebräuker (Constitutiones) monatlich 200 M[ark] = 2400 M[ark]

6. Dr. Zatschek in Wien (Diplomata III) wird aus dem österreichischen Beitrag honoriert.

Gegen früher ist also die Zahl der ständigen Mitarbeiter nicht unerheblich zurückgegangen. Für die kürzlich ausgeschiedenen Mitarbeiter Privatdozent Dr. Schramm in Heidelberg und Dr. Hoffmann, jetzt in Kiel ist ein Ersatz noch nicht gefunden worden. Besonders fühlbar wird das Fehlen der durch den Abbau weggefallenen etatmäßigen Direktorialassistenten, wodurch dem Vorsitzenden, den ausserdem die ganze oder teilweise Leitung von vier Abteilungen durch den Tod der bisherigen Leiter zugefallen ist, eine auf die Dauer untragbare Belastung aufgebürdet wird. Die Zentraldirektion beabsichtigt daher zum 1 April 1927 ausser einem jungen Hilfsarbeiter einen neuen älteren ständigen Mitarbeiter einzustellen; in Aussicht genommen ist dazu Dr. Leo Santifaller in Bozen, ein in der Wiener Schule gross gewordener und vorzüglich geeigneter Mitarbeiter für die Diplomata.

III Nichtständige Mitarbeiter,

d.h. Gelehrte, die für besondere Aufgaben gewonnen sind und für die fertig abgelieferten Ausgaben ein bestimmtes Bogenhonorar (50 bis 100 M[ark]) erhalten. Zur Zeit sind folgende Herren beteiligt

Geheimrat Prof. Dr. Hampe in Heidelberg (Epistolae)

Prof. Dr. W. Levison in Bonn (Gesta Pontificum Romanorum)

Prof. S. Eichmann in München (Ordines)

Bibliotheksdirektor Prof. Leidinger in München (Albertus Beham)

Prof. Dr. R. Scholz in Leipzig (Marsilius von Padua)

Prof. Dr. Reinke-Bloch in Breslau (Ligurinus)

Prof. Dr. R. Holtzmann in Halle (Thietmar von Merseburg)

Prof. Dr. Chroust in Würzburg (Ansbert und Tageno)

Prof. Dr. Schmeidler in Erlangen (Tolemäus von Lucca)

Prof. Dr. Hans Hirsch in Wien (Udalrich von Bamberg)

Prof. Dr. Hofmeister in Greifswald (Matthias von Neuenburg und Heinrich von Diessenhofen)

Prof. Dr. Güterbock in Berlin (Otto Morena und Tolosanus)

Prof. Dr. Sthamer in Berlin (Register Friedrichs II)

Prof. Dr. F. Schneider in Frankfurt a.M. (Petrus a Vinea)

Staatsarchivrat Dr. W. Schmidt in Hannover (Annales Beneventani)

Staatsarchivrat Dr. Eugen Meyer (Diplome Ludwigs des Deutschen)

Staatsarchivrat Dr. Ernst Müller (Diplome Ludwigs des Frommen)

Privatdozent Dr. J. Juncker in Königsberg (Benediktus Levita)

Dr. Paul Hirsch in Mannheim (Widukind von Korvei)

Dr. Zschaeck in Arnsberg (Levold von Northof).

IV Angestellte

sind nicht beschäftigt, da alle in Betracht kommenden Nebenarbeiten von dem Personal der Preussischen Staatsbibliothek ausgeführt werden, in der sich das Büro und die Arbeitsräume der Zentraldirektion nebst der Traubebibliothek befinden.

Berlin den 10 Dezember 1926

An den Herrn Reichsminister des Innern.

Auf den Erlaß vom 7 d[ieses] M[onats] III 13437 beehre ich mich in der Anlage (mit 3 Druckvorschlägen) die geforderte Zusammenstellung über die Abteilungsleiter, die Mitarbeiter und Hilfsarbeiter bei den Monumenta Germaniae historica und über ihre Vergütungen, bezw. Honorare zu überreichen.

der Vorsitzende der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae historica

K[ehr]