Mit der Kraft der Vernunft

Harry Bresslau

  • * 22.3.1848 in Dannenberg/Elbe
  • ✝ 27.10.1926 in Heidelberg

Harry Bresslau kam in Dannenberg, damals Königreich Hannover, als ältester Sohn von Abraham Heinrich Bresslau, Kaufmann mit Bürgerrecht, und Marianne, Tochter des Hannoverschen Hofbankiers Levi Heinemann auf die Welt. Bresslau, der sein Elternhaus als gebildet und aufgeklärt beschrieb, erhielt eine gute Schulbildung. 1866 verließ der Vater die Familie und wanderte in die USA aus, wo er sich als Redakteur eine neue Existenz aufbaute, nachdem im Deutschen Krieg das gesamte Familienvermögen verlorengegangen war. Harrys Mutter blieb mit den jüngeren Geschwistern, der siebenjährigen Clara und dem fünfjährigen Ludwig, zurück. Der achtzehnjährige Harry ging nach Berlin zum Studium der Geschichte und Philologie. Seinen Unterhalt verdiente er als Erzieher. 

1869 wurde Bresslau mit einer Arbeit über „Die Kanzlei Kaiser Konrads II.“ von Georg Waitz promoviert. Obwohl er eine Lehreranstellung hatte, musste er nicht lange überlegen, als ihm 1871 sein Universitätslehrer Johann Gustav Droysen nahelegte, sich in Berlin zu habilitieren. Die akademische Laufbahn war Harry Bresslau nach eigenen Angaben seit jeher ein Herzenswunsch gewesen. 

1874 heiratete Bresslau Caroline Isay, die einer jüdischen Trierer Familie entstammte. Das junge Paar wohnte in Berlin zusammen mit den mittlerweile verwaisten Geschwistern von Harry und zwei schulpflichtigen Neffen von Caroline. Harry Bresslau verdiente den Lebensunterhalt bis 1877 als Schullehrer und als Privatdozent an der Universität. Die Lebenssituation änderte sich 1877 mit der Ernennung Bresslaus zum außerordentlichen Professor und der Geburt des ersten Sohnes Ernst. 1878 wurde die Tochter Helene geboren, 1883 der zweite Sohn Hermann

1879 bekam der wachsende Antisemitismus in Heinrich von Treitschke an der Berliner Universität eine mächtige Stimme. Bresslau erfuhr dessen Auswirkungen, ihm wurde mehrfach eine ordentliche Professur verweigert. Deshalb nahm er 1890 den Ruf an die neugegründete Kaiser-Wilhelm-Universität in Straßburg an, auch wenn dies mit finanziellen Nachteilen verbunden war. 1913 ließ er sich mit 65 Jahren emeritieren, um seiner neuen Aufgabe bei den MGH, der Leitung der Abteilung Scriptores, die nötige Zeit widmen zu können. 

1918 musste das Ehepaar Bresslau als Deutsche das Elsass verlassen; nach 28 Jahren, in denen Harry Bresslau in Straßburg eine hohe gesellschaftliche Stellung und als akademischer Lehrer große Anerkennung erlangt hatte. In Hamburg, wo die Bresslaus zunächst wohnten, stellte er seine „Geschichte der Monumenta Germaniae historica“ fertig. Heidelberg wurde die letzte Lebensstation von Harry Bresslau. Dort verfasste er 1925 für die Reihe „Die Geschichtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen“ einen autobiographischen Beitrag, dem wir viele Details seines bewegten Lebens verdanken. 

Seine erste Vorlesung hielt Professor Bresslau über Diplomatik mit besonderer Berücksichtigung der deutschen Kaiserurkunde. Für seine diplomatischen Forschungen unternahm er zahlreiche Reisen in europäische Archive und nutzte zur Dokumentation der Urkunden auch die Fotografie. Aufbauend auf den bahnbrechenden Arbeiten Theodor von Sickels entwickelte Harry Bresslau die Diplomatik unter Einbindung von Schrift- und Diktatvergleichen und der Untersuchung des mittelalterlichen Kanzleiwesens weiter. Um die Didaktik der Diplomatik zu fördern, verfasste er sein Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien. Dieses Standardwerk, die erste systematische Darstellung der Urkundenlehre, erschien in erster Auflage 1888/89 und in überarbeiteter und ergänzter Neuauflage ab 1912. Harry Bresslau verstand sich nicht als Diplomatiker, sondern als Historiker; das Studium der Urkunden wie auch der Werke der mittelalterlichen Geschichtsschreiber sollte der historischen Forschung dienen. So schrieb Paul Kehr in seinem Nachruf auf Harry Bresslau: „Seine Interessen an den erzählenden Quellen und ihrer Kritik hielten jenen Neigungen [d.h. sich zum Spezialisten der Diplomatik auszubilden], die leicht zu einem beschränkten Virtuosentum führen, ein glückliches Gegengewicht.“ (Kehr, S. 252f.) 

Editionen bei den MGH 


Weitere Veröffentlichungen in Auswahl 


Verwendete Literatur zu Harry Bresslau


Foto von Harry Bresslau