Einführung

Gruß aus Kärnten

Postkarte von Henry Simonsfeld an Wilhelm Wattenbach, 06.09.1887

Um 1880 begann Simonsfeld mit der fundamentalen Studie über den Fondaco dei Tedeschi, für die er sechs Jahre lang Quellen sammelte. Als das Buch endlich im Druck war, wollte er im Herbst 1887 einen einwöchigen Erholungsurlaub in Kärnten antreten und danach für die MGH in Italien forschen. Gebirgstourismus war bereits sehr beliebt; Simonsfeld berichtete an Wilhelm Wattenbach, der ebenfalls in den Alpen Urlaub machte, dass er bei einer Bergwanderung drei deutsche Wissenschaftler getroffen habe.

Die Reise nahm einen unerwarteten Verlauf, da die ihn begleitende Mutter schwer erkrankte und den Winter über in Venedig blieb. Bei einem Besuch zu Weihnachten setzte Simonsfeld seine Arbeiten in der Biblioteca Marciana fort, wo er „ganz entsetzlich und jämmerlich [fror], da es draußen ordentlich schneite und das Thermometer bis auf 5 Grad unter Null sank“, wie er Wattenbach schrieb (MGH-Archiv B 258, Blatt 13-14, 15.1.1888). Ende April 1888 holte er nach einer Rundreise durch Oberitalien seine Mutter wieder ab. In Venedig logierten Sophie und Henry Simonsfeld im Hotel d’Angleterre (heute Londra Palace) an der Riva degli Schiavoni, während Henry bei den Reisen, die er allein unternahm, eine Pension, die Casa Fumagalli in der Calle del ridotto, vorzog. Seinen Ansprüchen genügte die saubere und freundliche Unterkunft, während sich Friedrich Nietzsche 1880 und 1885 dort wegen der niedrigen Zimmerdecken nicht wohlfühlte.

Simonsfeld erreichte 1892 mit der Stellung eines Kustos die höchste Position seiner Laufbahn als Bibliothekar, sah seine wahre Berufung aber in der Universität und begann allmählich ungeduldig zu werden. Da er sich deutsche Zeitungen nachschicken ließ, war er auch auf Reisen über die Entwicklungen auf dem Berufungsmarkt informiert. Im letzten Brief der kleinen Serie, die er 1887/88 aus Italien an Wattenbach schrieb, fragte er rundheraus, ob er bei der jüngsten Lehrstuhlvakanz in Breslau eine Chance habe: „Sie wissen, ich sehne mich darnach meine Doppelstellung in München aufzugeben, um mich ganz der Wissenschaft widmen zu können, und bei uns geschieht ja nichts für die Dozenten!“ (MGH-Archiv B 258, Blatt 17-18, 10.4.1888).

Transkription

Vorderseite:

Poststempel: Bleiberg; Berchtesgaden, Bad Gastein

[Aufdruck:]
Correspondenz-Karte.

[Hand Simonsfelds:]
Herrn D^r.W. Wattenbach
Universitätsprofessor aus Berlin
z. Zt. ~~Berchtesgaden (Bayern)~~ [andere Hand:] Gastein

[andere Hand und Stempel:]
8/9 Mittags
Ladislaus Spitko, Oberkellner.
Hotel Straubinger

Bleiberg bei Villach den 6. Sept[ember] 87

Verehrtester Herr Professor!

Ihre freundliche Karte ist mir erst auf Umwegen später in die Hände gekommen; denn seit dem 2. Tage meiner Abreise von München, seit dem 28. vor[igen] M[onat]s bin ich hier – gebannt an das Krankenlager meiner armen Mutter, die mit mir auf den Dobratsch steigen wollte (auf dem ich Breslau, Rödiger u[nd] Tiedge traf) wegen Seitenstechen unten blieb u[nd] nun an einer schweren Rippenfell- u[nd] Lungenentzündung gefährlich krank darniederliegt. Daß meine Gedanken nun ganz anderswo sind als bei den Monumenten werden Sie begreifen. Wie es mit der Weiterreise u[nd] Rückkehr sein wird, weiß ich nicht! Ihnen selbst u[nd] Ihrer werthen Frau Gemahlin weiter viel Vergnügen u[nd] die herzlichsten Grüße von Ihrem ergebensten

D^r. H. Simonsfeld