Einführung

Abwicklung einer bewährten Mitarbeiterin

Brief von Claudius Frhr. v. Schwerin an Edmund E. Stengel, 09.10.1938

Im Oktober 1938 bereitete Prof. Claudius Freiherr von Schwerin die endgültige Verdrängung Sinauers aus seinem Editionsprojekt durch Wegnahme ihres gesamten Arbeitsmaterials vor. Der Doktorvater Sinauers, der 1926 ihre wissenschaftlichen Leistungen überaus positiv bewertet und fast zehn Jahre von ihrer engagierten und wissenschaftlich eigenständigen Arbeit für seine geplante Edition profitiert hatte, wollte einer Begegnung mit seiner langjährigen Assistentin aus dem Weg gehen. Deshalb bat er Edmund Ernst Stengel, den Präsidenten des Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde (MGH), mit einem von ihm entworfenen Brief den Direktor des Rechtshistorischen Instituts in Freiburg aufzufordern, alle Arbeitsunterlagen zur Sachsenspiegelglosse nach München zu senden. Ende des Jahres 1938 musste er doch selbst nach Freiburg fahren, wie er Stengel in einem weiteren Brief am 26.12.1938 berichtete: „Morgen fahre ich nach Freiburg, um dort die für uns wichtigen Fotografien und sonstigen Materialien auszusondern und hierher verschicken zu lassen. Darf ich die tatsächlichen Kosten dem Reichsinstitut verrechnen? Die Reise ist in der Tat notwendig, da wie mir Kollege Beyerle sagte, Frl. Sinauer die Universität nicht mehr betreten darf, und sonst Niemand in der Lage ist, die Sachen auszusuchen“ (MGH-Archiv B 557, Blatt 75).

Zwei Jahre später, am 22.10.1940, wurde Erika Sinauer, wie die meisten der in Baden, der Pfalz und dem Saarland verbliebenen Juden, aus Freiburg abgeschoben und in das Lager Gurs in Südfrankreich nahe der spanischen Grenze deportiert.

Transkription

Universitätsprofessor Dr. Frhr. v. Schwerin
München 13, den 9.X.38.
Adelheidstraße 8

Sehr geehrter Herr Kollege!

In Beantwortung Ihres Schreibens vom 24.9. kann ich Ihnen mitteilen, dass Frl. Dr. Bindewald pünktlich eingetroffen ist. Mein vorläufiger Eindruck ist sehr gut. Ich habe Frl. Bindewald, da sie im Hauptfach Philologin ist, zunächst aufgegeben, ausgewählte Artikel der Glosse sprachlich zu untersuchen, nachdem sie sich vorher im Schrifttum über die Glossenprobleme orientiert hatte. Selbstverständlich machen die juristischen Ausdrücke zu Beginn etwas Mühe. Aber Frl. B. wird bald damit zurecht kommen.

Was Frl. Sinauer anlangt, so war sie immer bereit, den abschliessenden Aufsatz zu liefern, und ist es auch heute noch. Die Frage ist nur die, wie lange sie dazu braucht. Eine notwendige Grenze wird sich dadurch ergeben, dass in einiger Zeit die noch in Freiburg liegenden Handschriftenfotografien hier zur Verfügung stehen müssen. Aus diesem Grunde muss auch überlegt werden, wie wir zu diesen Fotografien gelangen. Ich möchte vorschlagen, an den derzeitigen Direktor des Rechtsgeschichtlichen Instituts in Freiburg (F. Beyerle) vom Reichsinstitut aus ein entsprechendes Schreiben zu richten. Unter Weglassung von Eingang und Schluss gestatte ich mir, aus meiner Kenntnis der Sachlage heraus folgenden Text vorzuschlagen.

“Im Freiburger Rechtsgeschichtlichen Institut befindet sich zur Zeit noch der ganze für die Herausgabe der Sachsenspiegelglosse aufgebaute Apparat. Der eine Teil besteht aus Fotografien von Glossenhandschriften, die H. v. Schwerin mit den Reproduktionsmitteln des Instituts selbst hergestellt hat, und zwar zu einer Zeit, in der die Arbeit an der Herausgabe der Glosse in Freiburg zusammengefasst war. Nachdem sich nunmehr H. v. Schwerin, der Leiter dieser Arbeit, in München befindet und dort auch die ihm vom Reichsinstitut zur Verfügung gestellte wissenschaftliche Hilfskraft unter seiner Aufsicht arbeiten muss, ist es sachlich notwendig, dass auch der für die Ausgabe hergestellte und erforderliche Apparat nach München verbracht wird. Wir ersuchen daher, dass dieser Apparat, soweit er, wie die erwähnten Fotografien, im Eigentum des Instituts steht, dem Reichsinstitut zum Zweck der Herausgabe leihweise überlassen wird. Die seinerzeit von der Wiener Akademie an das Institut abgegebenen Vorarbeiten sind ohnedies Eigentum des Reichsinstituts. Die Uebergabe würde zweckmässig unmittelbar an H. v. Schwerin erfolgen, der auch den Zeitpunkt der Uebernahme bestimmen könnte.”

Wenn auf ein solches Schreiben hin die Genehmigung aus Freiburg eingegangen ist, würde ich Frl. Sinauer unter Hinweis auf die bevorstehende Ueberführung des Apparats eine Frist stellen und nach deren Ablauf den Apparat übernehmen. Dann müssen wir eben ohne den abschliessenden Aufsatz durchzukommen versuchen, wenn er bis dahin nicht fertig ist.

Mit besten Grüssen und Heil Hitler

Ihr ergebener v. Schwerin